Das Buch Ijob

Kapitel 1: Der Vorbericht

Ijobs Rechtschaffenheit und Glück

1 Einst lebte im Land Uz ein Mann, der hieß Ijob. Er war ein untadeliger und rechtschaffener Mann, fürchtete Gott und hielt sich vom Bösen fern.

2 Er hatte sieben Söhne und drei Töchter.

3 Sein Besitz betrug 7.000 Schafe, 3.000 Kamele, 500 Joch Rinder, 500 Eselinnen; dazu sehr viel Gesinde. Er war reicher als alle Söhne des Ostens.

4 Nun war es Brauch bei seinen Söhnen, ein Festmahl zu halten in eines jeden Haus an dem für ihn bestimmten Tag. Auch zu ihren drei Schwestern schickten sie hin und luden sie ein, mit ihnen zu essen und zu trinken.

5 Hatten sie aber die Runde der Festmahlstage beendet, ließ Ijob sie rufen und sich zum Opfer bereiten. In der Frühe brachte er dann für jeden von ihnen ein Brandopfer dar. Denn Ijob dachte: "Vielleicht haben meine Kinder gesündigt und Gott in ihrem Herzen beleidigt!" So tat Ijob jedesmal.

 

Ist ihm Gottes Ehre oder sein Besitz wichtiger?

6 Es begab sich aber eines Tages, daß die Gottessöhne kamen und vor den Herrn traten. Auch der Satan erschien unter ihnen.

7 Und der Herr fragte den Satan: "Woher kommst du?" Der Satan antwortete dem Herrn: "Von einem Streifzug auf der Erde und von einer Wanderung auf ihr."

8 Da sagte der Herr zum Satan: "Hast du auch acht gehabt auf meinen Diener Ijob? Niemand kommt ihm auf Erden gleich. Untadelig ist er und rechtschaffen, fürchtet Gott und hält sich vom Bösen fern."

9 Der Satan erwiderte dem Herrn: "Ist etwa Ijob umsonst so gottesfürchtig?

10 Umhegst du nicht ihn und sein Haus und alles, was ihm gehört? Seiner Hände Wirken segnest du, und sein Besitz dehnt sich immer weiter im Land aus.

11 Doch strecke nur einmal deine Hand aus und taste seine Habe an, ob er sich nicht offen gegen dich auflehnt!"

12 Da sprach der Herr zum Satan: "Nun wohl, seine ganze Habe sei in deiner Gewalt! Nur an ihn selbst darfst du die Hand nicht legen!" Und der Satan verließ den Herrn.

 

Erste Bewährungsprobe: Verlust der Habe und der Kinder

13 Während nun eines Tages die Söhne und Töchter Ijobs im Haus ihres ältesten Bruders beim Mahl waren und Wein tranken,

14 traf bei Ijob ein Bote ein mit der Meldung: "Die Rinder waren beim Pflügen, und die Eselinnen weideten daneben.

15 Da fielen die Sabäer ein, raubten sie und erschlugen die Knechte mit dem Schwert. Ich allein bin entkommen, es dir zu melden."

16 Er war noch am Reden, da kam ein anderer mit der Nachricht: "Feuer Gottes fiel vom Himmel nieder und verbrannte die Schafe und die Knechte und verzehrte sie. Ich allein bin entkommen, es dir zu melden."

17 Er war noch am Reden, da kam schon wieder einer und berichtete: "Die Chaldäer bildeten drei Heerhaufen, fielen über die Kamele her, trieben sie weg und erschlugen die Knechte mit dem Schwert. Ich allein bin entkommen, es dir zu melden."

18 Während er noch redete, kam schon ein weiterer mit der Botschaft: "Deine Söhne und Töchter waren beim Mahl und Weintrinken im Haus ihres ältesten Bruders.

19 Plötzlich brauste ein starker Sturmwind aus der Steppe daher und rüttelte an den vier Ecken des Hauses, so daß es über den jungen Leuten einstürzte. So kamen sie zu Tode. Ich allein bin entkommen, es dir zu melden."

 

Ijobs Bewährung

20 Da stand Ijob auf, zerriß sein Gewand und schor sich das Haupt. Dann warf er sich nieder zur Erde, beugte sich tief

21 und betete: "Nackt bin ich gekommen aus meiner Mutter Schoß, nackt kehre ich dorthin zurück; Der Herr hat es gegeben, der Herr hat es genommen – der Name des Herrn sei gepriesen!"

22 Bei alldem sündigte Ijob nicht und führte keine ungebührlichen Reden wider Gott.

 

Kapitel 2: Ist ihm Gottes Ehre oder die eigene Gesundheit wichtiger?

1 Es begab sich aber eines Tages, daß die Gottessöhne kamen und vor den Herrn traten. Auch der Satan erschien unter ihnen und trat vor den Herrn.

2 Und der Herr frage den Satan: "Woher kommst du?" Der Satan antwortete dem Herrn: "Von einem Streifzug auf der Erde und von einer Wanderung auf ihr."

3 Da sagte der Herr zum Satan: "Hast du auch acht gehabt auf meinen Diener Ijob? Niemand kommt ihm auf Erden gleich. Untadelig ist er und rechtschaffen, fürchtet Gott und hält sich vom Bösen fern. Und wiewohl du mich bewogen, ohne Grund ihm zu schaden, ist er noch immer gefestigt in seiner Frömmigkeit."

4 Der Satan erwiderte dem Herrn:" Haut um Haut: alles, was der Mensch besitzt, gibt er für sein Leben dahin.

5 Strecke nur einmal deine Hand aus und taste sein Gebein und Fleisch an, ob er sich dann nicht offen wider dich auflehnt!"

6 Da sprach der Herr zum Satan: "Gut, er sei in deiner Gewalt! Nur mußt du sein Leben schonen!"

 

Zweite Bewährungsprobe: Verlust der Gesundheit

7 Der Satan verließ nun den Herrn und schlug Ijob mit bösem Geschwür von der Fußsohle bis zum Scheitel.

8 Er nahm eine Scherbe, sich damit zu schaben; dabei saß er auf dem Müllhaufen.

 

Ijobs abermalige Bewährung

9 Da hielt seine Frau ihm vor: "Hältst du noch immer an deiner Frömmigkeit fest? Sag dich los von Gott und stirb!"

10 Doch er gab ihr zur Antwort: "Wie eine Närrin schwatzt, so schwatzt du daher! Haben wir das Gute von Gott angenommen, warum nun nicht auch das Böse?" – Bei alldem sündigte Ijob nicht mit seinen Lippen.

 

Der Besuch der Freunde

11 Als die drei Freunde Ijobs von all dem Unglück hörten, das über ihn hereingebrochen war, kamen sie aus ihrer Heimat herbei: Elifas aus Teman, Bildad aus Schuach und Zofar aus Naama. Sie vereinbarten miteinander, ihm ihre Teilnahme zu bezeigen und ihn zu trösten.

12 Als sie aber ihre Augen von weitem erhoben und ihn nicht wiedererkannten, begannen sie laut zu weinen, zerrissen ihre Kleider und warfen Staub auf ihr Haupt.

13 Sie setzten sich zu ihm auf den Boden, sieben Tage und sieben Nächte lang, ohne ihm ein Wort zu sagen; denn sie sahen, daß sein Schmerz sehr groß war.

 

Kapitel 3: Die Streitreden über das Leiden des Gerechten

Ijobs Rede: Seine Qual und Ratlosigkeit

1 Endlich tat Ijob seinen Mund auf und verwünschte den Tag seiner Geburt.

2 Und Ijob hob an und sprach:

 

Verwünschung der Geburt

3 "Oh, daß ausgelöscht wäre der Tag, an dem ich geboren, die Nacht, da man sprach: Ein Knäblein ist da!

4 Dieser Tag – wäre er doch in Finsternis verblieben! Hätte Gott da droben nie um ihn sich gesorgt! Hätte nie über ihm aufgeleuchtet das Licht des Tages!

5 Hätten statt seiner Nacht und Todesschatten gewaltet! Hätte dunkles Gewölk sich gelagert auf ihn! Hätte ihn doch Düsternis erschreckt!

6 Jene Nacht – wäre sie doch geworden der Dunkelheit Raub! Hätte sie nie sich vereint mit den Tagen des Jahres! Wäre sie nie getreten zu der Monde Zahl.

7 Wäre doch unfruchtbar geblieben jene Nacht! Wäre doch nie ein Jubelruf in ihr erklungen!

8 Hätten die Verflucher auch sie verflucht, die, die selbst den Leviátan aufzuschrecken verstehen.

9 Wären im Finstern verharrt ihrer Dämmerung Sterne! Hätte umsonst sie gewartet auf Licht! Hätte nie sie geschaut der Morgenröte Wimpern!

10 Sie verschloß mir ja nicht des Mutterschoßes Pforten, verbarg nicht meinen Augen die Trübsal!

11 Was starb ich nicht gleich weg vom Mutterschoß? Was verschied ich nicht gleich, als ich kam aus dem Leib meiner Mutter?

12 Was haben sich Knie mir dargeboten, wozu Brüste, daß ich sie sog?

 

Lobpreis des Todes

13 Läge ich im Grab, so könnte ich ruhen! Wäre ich entschlafen, hätte ich Frieden,

14 wie die Könige und die Ratsherren des Landes, die Grabkammern sich erbauten,

15 gleich den Fürsten, reich an Gold, die ihre Grabstatt füllten mit Silber,

16 wie eine Fehlgeburt, die man verscharrt, die niemals ins Dasein trat, wie ein Kind, das niemals das Licht sah!

17 Dort lassen ihr Toben die Frevler, dort dürfen ruhen, deren Kraft sich erschöpft.

18 Dort rasten sorglos die Gefangenen, hören nicht mehr des Fronvogts Ruf.

19 Sich gleich sind dort Kleine und Große, ledig des Herrn ist der Sklave.

 

Absage an das Leben

20 Was nur leiht er dem Leidenden Licht, den Tiefbetrübten das Leben?

21 Sie sehnen sich nach dem Tod – doch er kommt nicht, nach ihm suchen sie mehr als nach Schätzen.

22 Jauchzenden Jubels wären sie voll, sie frohlockten, wenn das Grab sie fänden.

 

Grauen vor Gottes Grimm

23 So steht es mit dem Mann, dessen Pfad sich verhüllt, dem Gott jeden Ausweg versperrte.

24 Nun ist Seufzen mein tägliches Brot, wie Wasser ergießt sich mein Klagen.

25 Denn der Furchtbare, den ich fürchte, fiel über mich her; über mich kam der, vor dem mir graut.

26 Nicht Ruhe finde ich, noch Rast, noch Frieden, da gekommen der Zorn."

 

Kapitel 4: Die erste Rede des Elifas: Wer leidet, muß schuldig sein

1 Da antwortete Elifas aus Teman:

 

Widerspruch zwischen Ijobs früherer Weisheit und jetziger Ratlosigkeit

2 "Stellt dich die Sache so auf die Probe? Dein Mühen ist eitel. Halt ein mit den Worten! Wer könnte sie ertragen?

3 Siehe, so viele hast du belehrt, kraftlose Arme gestählt,

4 dein Zuspruch hielt aufrecht den Strauchelnden, gestärkt hast du wankende Knie.

5 Nun, da es dich selbst trifft, bist du verzagt, da es dich selbst packt, bist du verzweifelt.

 

Nur Schuldige werden bestraft

6 Ist deine Gottesfurcht nicht dein Vertrauen, deine Hoffnung nicht dein lauteres Leben?

7 Bedenke, wer kam je um ohne Schuld? Wo wurden jemals Gerechte vertilgt?

8 So habe ich es erlebt: Wer Unheil pflügte und Frevel säte, der hat dies auch geerntet.

9 Durch Gottes Atem gehen sie zugrunde, sie schwinden dahin vom Hauch seines Zornes.

10 Des Löwen Gebrüll, des Leuen Geheul, der Junglöwen Zähne sind nutzlos;

11 wegen Mangels an Raub geht der Löwe zugrunde, zerstreut werden die Jungen der Löwin.

 

Ein Offenbarungserlebnis als Beweis und Warnung

12 Es stahl sich zu mir ein heimliches Wort, nur ein Flüstern von ihm erlauschte mein Ohr

13 beim Spiel der Gedanken in nächtlichem Traum, als tiefer Schlaf auf die Menschen sich senkte.

14 Über mich fiel Zittern und Zagen, faßte mit Grausen all mein Gebein.

15 Ein Hauch glitt über mein Gesicht dahin, die Haare meines Körpers sich sträubten.

16 Da stand – doch ich konnte sein Aussehen nicht schauen – eine Erscheinung vor meinen Augen. Und ich vernahm eine raunende Stimme:

17 'Ist je ein Mensch im Recht vor Gott, ein Sterblicher rein vor dem, der ihn schuf?

18 Siehe, seinen Dienern traut er nicht, noch seinen Engeln, die herrlich er geschaffen –

19 doch denen, die im Lehmhaus wohnen, deren Ursprung ruht im Staub?– Wie die Motte werden sie zermalmt!

20 Vom Morgen zum Abend sind sie zerschmettert, unbeachtet vergehen sie auf ewig.

21 Wird durch sie selbst nicht abgebrochen ihr Zelt, sterben sie nicht aus Mangel an Weisheit?'

 

Kapitel 5: Tadel an Ijobs vermessener Haltung

1 Erhebe nur Klage! – Wer leiht deiner Ladung Gehör? An wen von den Engeln willst du dich wenden?

2 Den Toren tötet sein Unmut, das Leben kostet dem Narren sein Hader.

 

Das Beispiel vom Toren

3 Ich sah einen Toren: Fest war er verwurzelt – doch plötzlich stürzte zusammen sein Haus.

4 Hilflos blieben zurück seine Kinder, ohne Anwalt wurden sie zertreten im Tor.

5 Hungrige zehren, was er geerntet; selbst aus Dornenhecken holen sie es sich heraus. Durstige lechzen nach seinem Besitz.

 

'Der Mensch ist zum Leiden geboren!'

6 Denn nicht aus der Erde sprießt das Unheil, nicht aus dem Boden schießt Ungemach auf –

7 nein, der Mensch ist zum Leiden geboren, wie die Funken aus dem Feuer stieben empor.

 

Rat, Mahnung und Trost

8 Ich aber, ich ginge zu Gott, brächte vor Gott meine Sache,

9 vor ihn, dessen Walten groß und unfaßbar, von Wundern voll, die niemand zählt.

10 Regen schickt er über die Erde, gießt Wasser herab auf die Flur.

11 Tiefgebeugte hebt hoch er empor, glücklich macht er die Traurigen.

12 Der Listigen Pläne macht er zunichte, nichts Rechtes bringen ihre Hände zustande.

13 In ihrer eigenen Arglist fängt er die Klugen, zusammenbricht der Listigen Plan.

14 Der helle Tag ist für sie dunkel, wie bei Nacht tappen sie umher am Mittag.

15 Den Ausgeraubten entreißt er ihrem Rachen, den armen Wicht den Fängen des Starken.

16 Neue Hoffnung blüht auf dem Schwachen, die Bosheit muß schließen ihr Maul.

17 Siehe, glücklich der Mann, den Gott zurechtweist! – So verschmähe nicht des Allmächtigen Mahnung!

18 Er verbindet, wenn er verwundet; auch Heilung wirkt seine Hand, wenn er schlägt.

19 Retten wird er dich in sechserlei Nöten, in sieben trifft dich kein Unheil

20 In Hungersnot kauft er vom Tode dich los, zur Zeit des Krieges aus der Gewalt des Schwertes.

21 Vor der Zunge Geißel bist du geborgen; naht auch Verheerung – du kennst keine Furcht.

22 Spotten kannst du der Verwüstung des Hungers, vor den Tieren des Feldes brauchst du nicht zu bangen.

23 Du stehst ja im Bunde mit den Steinen des Feldes, die Tiere des Feldes sind dir friedlich gesinnt.

24 Da wirst du erfahren, daß voller Friede dein Zelt; du musterst dein Haus: an nichts hast du Mangel.

25 Du siehst sich mehren die Zahl deiner Kinder, deine Sprößlinge wachsen wie das Gras auf der Flur.

26 In sattem Alter steigst du ins Grab; wie eine Garbe liegst du zur Zeit der Reife.

27 Siehe, wir haben es ergründet! So ist es! Du aber merke es und präge es dir ein!"

 

Kapitel 6: Ijobs Antwort: Unschuldig bin ich und muß doch leiden

1 Darauf erwiderte Ijob:

 

Bitte um besseres Verständnis

2 "Ach, wollte man nur meinen Unmut wiegen, auf die Waage legen meine Leiden!

3 Schwerer sind sie als der Sand am Meer, meine Worte sind darum verworren!

4 Des Allmächtigen Pfeile stecken in mir, schon hat ihr Gift getrunken mein Geist. Es befehden mich Schrecknisse Gottes.

5 Schreit denn der Wildesel, wenn er weidet? Brüllt bei seinem Futter der Stier?

6 Kann ohne Salz man wohl Fades genießen? Hat Wohlgeschmack denn das Eiweiß?

7 Es widert mich an, nur daran zu rühren! Ekeln macht mich ein unreines Brot.

 

Sehnsucht nach dem Tod

8 Oh, daß sich erfüllte, wonach ich verlange! Daß Gott mir verliehe, wonach ich mich sehne!

9 Gefiele es doch Gott, mich zu vernichten! Streckte er doch seine Hand aus und raffte mich hinweg.

10 Trost wäre es mir! Aufhüpfen wollte ich trotz unbarmherziger Schmerzen! Nicht hielt ich mit Worten an den Heiligen zurück.

11 Wo finde ich die Kraft, noch länger zu harren? Wann kommt das Ende, das ich erwarte?

12 Ist meine Kraft wie die Kraft der Steine, ist denn von Erz mein Fleisch?

13 Bin ich nicht jeder Hilfe entblößt, ist nicht jeglicher Halt mir genommen?

 

Das Versagen der Freunde

14 Des Freundes Mitleid gebührt dem Verzagten, und warf er die Furcht vor dem Höchsten auch ab!

15 Treulos wie Winterbäche sind meine Brüder, wie Wasserläufe, die über die Ufer getreten:

16 Trübe sickern sie heraus aus dem Eis, Schnee verbirgt sich in ihnen.

17 Zur Zeit der Hitze versiegen sie, verschwinden aus ihrem Bett, wenn es heiß wird.

18 Ihres Laufes Spuren verlieren sich, als Dunst steigen sie auf und bleiben verschwunden.

19 Karawanen aus Tema spähten nach ihnen, Handelszüge von Saba verließen sich auf sie.

20 In ihrem Vertrauen wurden sie betrogen, sie kamen hin und sahen sich getäuscht.

21 So seid auch ihr jetzt für mich: Ihr schaut das Schrecknis und fürchtet euch!

22 Habe ich gesagt: 'Gebt mir etwas! Schenkt mir von eurem Vermögen!

23 Rettet mich aus den Fängen des Feindes! Kauft mich los aus der Hand der Tyrannen!'

24 Belehrt mich, so will ich verstummen! Laßt mich wissen, worin mein Irrtum besteht.

25 Warum werden offene Worte verhöhnt? Was beweist denn euer Tadel?

26 Bloßes Geschwätz gilt euch als Beweis, als Wind des Verzweifelten Rede.

27 Über eine Waise stürzt ihr her und grabt eurem Freund eine Grube.

 

Bitte um Gehör und rechtes Urteil.

28 So habt nun die Güte und hört mich an, ich werde euch gewiß nicht ins Angesicht lügen.

29 Besinnt euch! Es geschehe kein Unrecht! Besinnt euch! Noch bin ich im Recht.

30 Liegt denn ein Unrecht auf meiner Zunge? Ist mir kein Sinn mehr, den Frevel zu sehen?

 

Kapitel 7: Ijobs Klagen zu Gott

Die Mühsal des Lebens

1 Steht nicht in hartem Dienst der Mensch auf der Erde? Ist sein Leben nicht dem des Tagelöhners gleich,

2 dem Sklaven, der nach Schatten lechzt, dem Mietsknecht, der auf seinen Lohn noch wartet?

3 Monde voll Weh wurden mir zum Erbe, Nächte der Mühsal waren mein Teil.

4 Lege ich mich zu Ruhe, denke ich: Wann darf ich wohl aufstehen? Zieht sich dann hin die Nacht, wälze ich mich ruhelos, bis dämmert der Morgen.

5 In Moder ist mein Leib gekleidet, einer lehmigen Kruste gleicht meine Haut – noch eine Weile und sie löst sich auf.

6 Rascher als Weberschifflein fliegen dahin meine Tage; ohne Hoffnung schwinden sie hin.

7 Bedenkt, nur ein Hauch ist mein Leben, nie mehr wird am Guten mein Auge sich freuen.

8 Wer jetzt mich noch schaut, sieht mich bald nicht mehr wieder; sucht mich dein Blick, so bin ich nicht mehr.

9 Wie die Wolke zerfließt, die dahinzog, so kommt nie mehr zurück, wer in die Unterwelt fährt.

10 Nie mehr kehrt er heim in sein Haus, seine Wohnung sieht ihn nie wieder.

11 So will meinem Mund ich nicht wehren, will sprechen in meines Geistes Not, will klagen in meiner Seele Bedrängnis! –

12 Bin ich denn das Meer oder ein Meerungeheuer, daß eine Wache du aufstellst gegen mich?

13 Denn denke ich: Mein Bett soll mich trösten, meine Ruhestatt mir helfen, mein Elend zu tragen,

14 suchst du mit schrecklichen Träumen mich heim und machst mit Visionen mir grausen,

15 daß eher ich wählte, erwürgt zu werden, den Tod lieber sähe, als diese Spukgestalten!

16 Ich schwinde dahin, ewig werde ich nicht leben! Laß von mir ab! Meine Tage sind ja nur ein Hauch.

 

Ijobs Fragen an Gott

Was ist der Mensch?

17 Was ist denn der Mensch, daß du seiner so achtest und dein Augenmerk richtest auf ihn,

18 daß du ihn heimsuchst jeden Morgen, ihn jeden Augenblick prüfst?

19 Wie lange schon schaust du nicht mehr weg von mir, gönnst mir nicht Ruhe, nur den Speichel zu schlucken?

 

'Selbst wenn ich gesündigt...'

20 Selbst wenn ich gesündigt – was könnte ich damit dir antun, dir, der Menschen Bewacher? Was stellst du mich für dich als Zielscheibe auf? Bin ich denn zur Last geworden für dich?

21 Kannst du mir denn meinen Fehltritt nicht vergeben, nicht verzeihen meine Schuld? – Denn nun werde in den Staub ich mich legen, und suchst du nach mir, so bin ich nicht mehr."

 

Kapitel 8: Erste Rede Bildads: Gottes Richten ist gerecht

1 Da entgegnete Bildad von Schuach:

 

Gottes Gerechtigkeit

2 "Wie lange willst du noch weiter so reden? Einer Windsbraut gleich sind die Worte deines Mundes.

3 Beugt etwa Gott das Recht, die Gerechtigkeit der Allmächtige? –

4 Weil deine Kinder gegen ihn gesündigt, gab er sie ihrer eigenen Freveltat preis.

5 Wenn Gott du suchst und zum Allmächtigen flehst um Gnade,

6 wenn rein du bist und redlich, wird er über dich wachen, die Wohnstatt dir wiedergeben, die dir ziemt.

7 Gering wird dann dein früher Glück erscheinen, dein künftig Schicksal wird gar herrlich sein.

 

Gott straft nur Sünder

8 Bei früheren Geschlechtern frage nach und merke wohl auf ihrer Väter Weisheit!

9 Denn wir von gestern, wir sind ohne Wissen, ein Schatten nur sind unsere Tage auf Erden.

10 Erschließen können sie es dir, sie können es dir sagen, dich belehren aus ihrer Weisheit Schatz.

11 Wächst, wo kein Sumpf ist, denn ein Schilfrohr hoch? Schießt fern vom Wasser etwa Riedgras auf?

12 Noch steht es im Saft, noch wird es nicht geschnitten, doch rascher wird es dürr als alles Gras –

13 So ist das Schicksal aller Gottvergessenen, so wird zunichte jedes Frevlers Hoffen.

14 Sommerfäden gleich ist sein Vertrauen, ein Spinnengewebe seine Zuversicht.

15 Er stützt sich auf sein Haus, doch es hält nicht stand, an ihm hält er sich fest, doch bleibt es nicht bestehen.

16 Saftstrotzend steht er im Bereich der Sonne, weit durch den Garten wuchert sein Gerank,

17 ins Felsgeröll flicht sich sein Wurzelwerk, Halt gibt ihm dort der Stein:

18 Da reißt man ihn von seiner Stätte weg, die spricht verleugnend: Nie sah ich dich!

19 Siehe, so bestellt ist seines Schicksals Freude, und aus dem Staube sproßt ein anderer auf.

 

Der Gerechte wird erhört

20 Gott wird den Unbescholtenen nicht verwerfen, doch hält die Hand der Bösewichte er nicht fest!

21 Er wird mit Lachen deinen Mund noch füllen, und deine Lippen noch mit Jubelsang,

22 dann kleiden deine Feinde sich in Schande und schwinden wird der Frevler Zelt."

 

Kapitel 9: Ijobs Antwort: Gottes Richten ist unerforschlich

1 Darauf erwiderte Ijob:

 

Vergeblichkeit allen Rechtens mit Gott

2 "Daß so es ist, weiß ich fürwahr! – Wie mag vor Gott im Recht sein wohl ein Mensch?

3 Und fiele einem ein, mit ihm zu rechten, nicht eins auf tausend könnte er ihm Rede stehen.

 

Gottes unbegrenzte Macht

4 Weisen Herzens ist er und an Kraft gewaltig, wer wollte trotzen ihm und bliebe heil?!

5 Berge verrückt er, ohne daß sie es merken – in seinem Zorn stülpt er sie um.

6 Die Erde scheucht er von ihrer Stätte, daß ihre Pfeiler wanken.

7 Der Sonne gebietet er – sie geht nicht auf; sein Siegel legt er an die Sterne.

8 Er ganz allein spannt den Himmel aus, auf des Meeres Höhen schreitet er einher.

9 Den Bär, den Orion hat er geschaffen, das Siebengestirn, die Sternbilder des Südens.

10 Großes wirkt er, das nicht zu fassen, unzählbare Wundertaten, die nicht zu zählen sind.

11 Zieht er an mir vorüber, merke ich es nicht, ich werde es nicht gewahr, wenn er vorbeibraust.

12 Rafft er dahin, wer will es ihm verwehren? – wer will ihn so fragen: 'Was treibst du da?'?

13 Niemand vermag Gottes Groll zu bannen, selbst Rahabs Helfer duckten sich unter ihm.

 

Gottes unerforschliches Richten

14 Wie sollte ich ihm Rede stehen da, wie an ihn wählen meine Worte?

15 Selbst wäre ich im Recht, könnte ich ihm nichts erwidern, um Gnade müßte ich bei meinem Kläger flehen.

16 Und riefe ich ihn auf, daß er mir Rede stehe: daß er mich anhörte, glaube ich nicht!

17 Er fiele über mich im Sturmwind her, und mehrte grundlos meine Wunden.

18 Zu Atem kommen ließe er mich nicht mehr; er sättigte mich mit bitterem Weh.

19 Gilt es die Kraft des Starken, heißt es: 'Hier bin ich!' – Doch gilt es das Recht: Wer lädt mich vor?

20 Wäre ich im Recht, mein Mund zieh mich dennoch des Unrechts! – Wäre schuldlos ich, er spräche mich doch schuldig!

21 Und schuldlos bin ich! – Nichts liegt mir mehr am Leben! Mein Dasein erachte ich für nichts!

22 Einerlei ist es doch – darum sage ich es frei: Ob schuldlos oder schuldig – er rafft doch hinweg!

23 Wenn er mit seiner Geißel Schlag jählings tötet, lacht er der Schuldlosen Verzweiflung.

24 In Frevlerhand gegeben ist das Land, die Augen bedeckt er seinen Herrschern. – Ist er es nicht, wer dann?!

 

Ijobs Klagen zu Gott – Vergebliche Hoffnung

25 Rascher als Läufer eilen dahin meine Tage, entfliehen, sie schauen kein Glück.

26 Wie Binsenboote gleiten sie vorbei, wie ein Adler, der stößt auf die Beute.

27 Nehme ich mir vor, meinen Jammer zu vergessen, meine Miene zu ändern und heiter zu sein,

28 so graust mir wieder vor all meiner Qual: Ich weiß, los wirst du mich nicht sprechen!

 

Ausweglose Lage

29 Schuldig soll ich nun einmal sein, was mühe ich mich da noch vergeblich?

30 Und wollte mit Schnee ich mich waschen, mit Lauge mir reiben die Hände,

31 so würdest du in Unrat mich tauchen, daß selbst mein Gewand sich ekelte vor mir!

 

Der Ruf nach einem Schiedsrichter

32 Er ist ja nicht ein Mensch wie ich, dem ich antworten könnte: 'Laß uns gemeinsam gehen vor Gericht!'

33 Oh, daß einen Richter es zwischen uns gäbe, der auf uns beide legte seine Hand,

34 der mir fernhielte seinen Prügel, daß mich vor ihm die Angst nicht mehr bezwänge!

35 Ohne ihn zu fürchten wollte ich dann reden; doch so bin ich meiner nicht mächtig!

 

Kapitel 10: Ijobs Fragen an Gott

1 Mein Leben widert mich an! – Darum lasse ich strömen meine Klage, will ich reden in meiner Seele Bitternis.

2 Ich spreche zu Gott: Verdamme mich nicht! Warum du mir grollst, laß mich wissen.

3 Oder schafft es dir Nutzen, Gewalt zu tun, zu verwerfen das Werk deiner Hände, doch zu begünstigen der Gottlosen Anschlag?

4 Hast du des Sterblichen Augen? Siehst du, wie Menschen sehen?

5 Sind deine Tage gleich Menschentagen, sind deine Jahre wie der Sterblichen Zeit,

6 daß du bei mir suchst nach Schuld, bei mir forschst nach Sünde,

7 wo du doch weißt, daß schuldlos ich bin, und aus deiner Hand mich niemand errettet?

 

Befremden über das Verhalten des Schöpfers gegen sein Geschöpf

8 Haben mich deine Hände geformt und gebildet, damit du dann umkehrst, um mich zu vernichten?

9 Gedenke, daß du wie aus Lehm mich geformt, warum willst du mich wieder zerstoßen zu Staub?

10 Hast du mich nicht hingegossen wie Milch, mich gerinnen lassen wie Käse,

11 mich dann bekleidet mit Fleisch und mit Haut und durchzogen mit Knochen und Sehnen?

12 Da hast du voll Huld mir geschenkt ein Leben, meinen Geist hat beschützt deine Sorge.

13 Doch schon damals bargst du dies in deinem Herzen; im Sinn lag es dir schon – ich weiß das!:

14 Auflauern wolltest du mir, so Sünde ich tat, und dann mir nie erlassen meine Schuld!

 

Aussichtslose Verzweiflung

15 Fiel ich in Sünde, dann weh mir! Aber selbst wäre ich gerecht, dürfte mein Haupt ich nicht erheben, gesättigt mit Schmach, mit Elend getränkt.

16 Und höbe ich es doch: Wie ein Löwe wolltest du mich jagen, Furchtbares mir wieder antun.

17 Neue Zeugen lüdest du gegen mich vor, noch mehr ließest du aus an mir deinen Unmut, stets neue Scharen rückten wider mich an zum Kampf.

18 Was ließest du aus dem Mutterschoß mich kommen? Wäre ich doch gestorben, ehe ein Auge mich erblickt!

19 Dann wäre ich, als wäre ich nie gewesen: Vom Schoß der Mutter gebettet ins Grab!

20 Wie karg ist bemessen die Zeit meines Lebens: Laß ab von mir! Nur ein wenig noch möchte ich mich freuen,

21 bevor ohne Wiederkehr zum Land der dunklen Todesschatten ich scheide,

22 zum Land so finster wie Mitternacht, des Todesschattens, der Wirrsal voll, wo tiefstem Dunkel gleicht das Licht."

 

Kapitel 11: Die erste Rede Zofars: Ijobs Schuld ist größer als seine Leiden

1 Darauf entgegnete Zofar von Naama:

 

Empörung über Ijobs Redeweise

2 "Soll dieser Wortschwall ohne Antwort bleiben? Darf recht behalten der Maulheld?

3 Sollte alles zum Schweigen bringen dein Geschwätz? Darfst ohne Widerspruch du schmähen?

4 Du sagst ja selbst: 'Meine Lehre ist rein und in deinen Augen bin ich lauter!'

 

Gott kennt besser die Herzen der Menschen

5 Ja, wollte Gott selber nur reden und den Mund auftun wider dich,

6 dir zeigen der Weisheit verborgene Schächte, die Vielgestalt seiner Pläne: du müßtest erkennen, daß Gott sogar dir noch einen Teil deiner Schuld übersieht!

7 Kannst du Gottes Urgrund ergründen, an des Allmächtigen Grenze dringen?

8 Über den Himmel hinaus ist sie hoch; was willst du beginnen? Unter die Unterwelt hinab ist sie tief; was willst du erkennen?

9 Weiter ist sie an Maß als die Erde, breiter über das Meer hinaus.

10 Braust er daher und nimmt in Gewahrsam und ruft vor Gericht – wer will es ihm wehren?

11 Er kennt ja die Menschen voll Bosheit, die Sünde nimmt er wahr ohne Mühe.

12 Dann wird zur Einsicht gebracht der Hohlkopf, umgeboren zum Menschen wird des Wildesels Füllen.

 

Dem Reuigen wird Rettung zuteil

13 So du aber dein Herz bereitest, deine Hände zu ihm erhebst,

14 aus deiner Hand entfernst das Unrecht, die Sünde nicht duldest in deinem Haus,

15 dann kannst du ohne Makel dein Antlitz erheben, stehst festgegründet und ohne Furcht;

16 dann wirst du vergessen haben die Mühsal, an sie denken wie an eine verlaufene Flut;

17 heller als der Mittag leuchtet dann auf dein Leben, wie Morgenlicht wird sein das Dunkel.

18 Dann wirst du Vertrauen hegen, zur Hoffnung ist ja noch Grund; du schaust um dich her und kannst sorglos dich lagern!

19 Nichts stört dich auf, wenn du rastest, um deine Gunst wird sich mancher bemühen.

20 Indes verlöschen die Augen der Frevler, jede Zuflucht schwand für sie hin; ihre Hoffnung heißt: aushauchen die Seele."

 

Kapitel 12: Ijobs Antwort: Leiden sind kein Beweis für Schuld

1 Darauf erwiderte Ijob:

 

Spöttische Abwehr der Freunde

2 "Wahrhaftig, ihr seid mir die Rechten! Die Weisheit vergeht einst mit euch!

3 Doch wie euch ward auch mir Verstand, nicht weniger wert bin ich als ihr; überhaupt: wer wüßte nicht derlei Dinge?

4 Zum Gelächter ward ich meinen Freunden, ich, der zu Gott schrie, daß er mich hört; zum Gelächter ward ich, der Reine, der Gerechte!

5 'Dem Unglück Verachtung!' – denkt der Geborgene, 'Verachtung für die, denen wankt der Fuß!'

6 Doch in Sicherheit steht des Räubers Zelt, wer Gott erzürnt, lebt sorglos dahin, mit eigener Hand teilt Gott es ihnen aus.

 

Gottes unbeschränkte Weisheit und Macht

7 Frage doch das Vieh – es wird dich lehren! Die Vögel des Himmels – sie tun es dir kund!

8 Die Erde schaue an – sie wird es dir zeigen! Die Fische des Meeres – sie erzählen es dir!

9 Wer erkennt nicht aus alldem, daß die Hand des Herrn dies geschaffen,

10 in dessen Hand ruht aller Wesen Leben und jedes Menschenleibes Geist?

11 Prüft das Ohr nicht die Worte, wie der Gaumen die Speise probt?

12 Hält Weisheit sich auf beim Ergrauten, führt langes Leben zur Einsicht?

13 Bei ihm ist Weisheit und mächtige Tat, von ihm kommt Einsicht und Rat.

14 Siehe, was er einreißt, baut niemand mehr auf, wen er einschließt, dem winkt nie mehr die Freiheit.

15 Er hemmt die Wasser – schon kommt die Dürre; es läßt sie fluten – sie zerwühlen das Land.

 

Gottes unbegreifliches Walten

16 Macht und Verstand sind sein Eigen, der Irrende wie der Irreführende sind sein.

17 Barfuß läßt er ziehen die Ratsherren, zu Narren macht er die Richter.

18 Er löst auf die Herrschaft der Könige, mit dem Strick umschließt er ihre Hüften.

19 Barfuß läßt er die Priester gehen, stürzt, was schien ewig zu leben.

20 Beredten nimmt er die Sprache weg, des Urteils Kraft entzieht er den Greisen.

21 Auf Edle gießt er Verachtung aus und lockert den Gurt der Starken.

22 Aus dem Dunkel legt er die Tiefen bloß, das Totenreich hebt er zum Licht.

23 Er macht groß die Völker und läßt sie vergehen, breitet aus die Nationen und führt sie hinweg.

24 Einsicht nimmt er den Häuptern des Landes, läßt in wegloser Wildnis in die Irre sie gehen.

25 Sie tappen in lichtlosem Dunkel, wie Trunkene läßt er sie torkeln.

 

Kapitel 13: 'Mit Gott zu rechten ist mein Begehr!'

1 Siehe, mein eigen Auge hat all das gesehen, mein Ohr hat es gehört und seiner geachtet.

2 Soviel wie ihr verstehe auch ich; nicht weniger wert bin ich als ihr.

3 Doch mit dem Allmächtigen habe ich zu reden, mit Gott zu rechten ist mein Begehr!

 

Das leere Gerede der Freunde

4 Ihr aber seid rechte Lügenschmiede, ihr alle heillose Ärzte!

5 Schwiegt ihr, sähe das nach Weisheit aus!

 

Bitte um unparteiisches Urteil

6 Hört euch doch meinen Beweisgang an, vernehmt meiner Lippen Entgegnung!

7 Wolltet Gott zuliebe ihr Lügen reden, Trug vorbringen zu seinem Nutzen?

8 Wolltet Partei ihr für ihn ergreifen oder Gottes Sachwalter spielen?!

9 Nähme es wohl ein gutes Ende, wenn er euch verhörte? Hofft ihr, ihn, wie man Menschen betrügt, zu betrügen?

10 Streng wird er euch strafen, wenn heimlich parteiisch ihr seid.

11 Sollte euch nicht seine Hoheit erschrecken und Entsetzen vor ihm euch befallen?

12 Eure Sprüche sind auf Asche geschrieben, nur Lehm fördern zutage eure Brunnen.

13 Seid still und laßt mich in Frieden! Reden will ich! – was wolle, mag über mich kommen!

 

Bereit zum Rechtsstreit mit Gott

14 Zwischen die Zähne nehme ich mein Fleisch und lege auf die Hand mein Leben!

15 Gut, mag er mich töten! Ich hoffe nicht mehr! Nur Auge in Auge will ich ihm meinen Wandel erweisen.

16 Dies wäre mir schon ein Sieg, denn kein Gottloser kommt ihm vor Augen.

17 Hört wohl mein Wort, mein Beweis dringe in euer Ohr!

18 Seht doch, ich bin zum Rechtsstreit bereit, ich weiß, ich werde im Recht sein!

19 Wer ist es, der gegen mich streiten will, daß ich verstumme und sterbe?

20 Zwei Dinge nur tu mir nicht an, sonst müßte ich vor deinem Antlitz mich bergen:

21 Nimm deine Hand weg von mir – dein Schrecken mache mich nicht grausen!

22 Dann lade mich vor! Antwort will ich dir stehen! – Oder ich klage, und du stehst mir Antwort!

23 Was habe ich denn an Fehlern und Sünden? Tu mir kund meine Schuld, meine Verfehlung!

24 Was birgst du dein Antlitz, siehst in mir deinen Feind?

25 Du wirbelst auf ein verwehtes Blatt, jagst nach einem dürren Strohhalm?

26 Bitternis hast du mir ja verschrieben, meiner Jugend Sünden mir heimgezahlt.

27 Du hast meine Füße gespannt in den Block, überwacht all meine Pfade, hast Schranken gesetzt meinen Schritten.

28 Das hast du dem getan, der wie Fäulnis zerfällt, wie ein Kleid, das die Motten zerfraßen!

 

Kapitel 14: Ijobs Klagen zu Gott

Die Kürze des Menschenlebens

1 Der Mensch, vom Weibe geboren, kurzen Lebens, an Sorgen satt,

2 blüht auf wie die Blume, verwelkt, flieht hin wie ein Schatten – und bleibt nicht. –

3 Um den hältst die Augen du offen und bringst mich mit dir noch ins Gericht?

4 Wie könnte aus der Unreinen Kreis kommen ein Reiner? – Nicht einer!

5 Da seine Tage genau bemessen, die Zahl seiner Monde feststeht bei dir, da du ein Ziel ihm gesetzt, das er nicht überschreitet,

6 so sieh von ihm weg, daß er raste, bis er seines Tages wie ein Fronknecht sich freut!

 

Die Vergänglichkeit des menschlichen Lebens

7 Ja, dem Baum bleibt ein Hoffen! – Wird er gefällt, schlägt er wieder aus; nimmer säumt sein Schößling!

8 Wird alt in der Erde sein Wurzelwerk, stirbt ab im Boden sein Stumpf,

9 hat er nur Feuchte, sproßt er aufs neue, wie ein junges Reis treibt er Zweige.

10 Doch stirbt ein Mann, so ist es aus mit ihm; verscheidet ein Mensch – wo ist er?

11 Mag aus dem Meer das Wasser verrinnen, der Strom vom Quell her versiegen:

12 Der Mensch, der sich hinlegt, erhebt sich nie wieder; bis kein Himmel mehr ist, wacht niemand mehr auf; aus seinem Schlaf regt sich keiner!

 

Sehnsucht nach der Versöhnung mit Gott

13 Ach, bärgest du mich in der Unterwelt, verstecktest mich, bis dein Groll verraucht! Setztest du doch eine Frist mir fest und dächtest dann mein!

14 Ja, stürbe der Mensch und würde wieder lebendig: Bis meine Ablösung käme, wollte ich ausharren die Zeit meiner Fron!

15 So du riefest, gäbe ich dir Antwort. Du dächtest in Sehnsucht ans Werk deiner Hände.

16 Sorglich zähltest du dann meine Schritte, meiner Sünde achtetest du nimmer.

17 Mein Vergehen läge im Sack versiegelt, du würdest die Schuld mir verzeihen.

 

Düstere Klage

18 Doch wie ein Berg im Sturz zerklafft, von seiner Stelle der Fels sich löst,

19 wie das Wasser die Steine zerreibt und die Flut das Erdreich hinwegschwemmt, so machst du zunichte das Hoffen des Menschen,

20 tust stets ihm Gewalt an – er muß dahin – du entstellst sein Gesicht und jagst ihn von dannen.

21 Sind geehrt seine Kinder – er weiß nichts davon; sie kümmern ihn nicht, sind sie in Schande.

22 Er spürt nur die Qual des eigenen Leibes, nur um ihn selbst grämt sich seine Seele."

 

Kapitel 15: Zweite Rede des Elifas: Das kurze Glück der Gottlosen

1 Da entgegnete Elifas von Teman:

 

Ijobs ehrfurchtslose und heuchlerische Anmaßung

2 "Darf wohl ein Weiser so leichthin erwidern, darf er sich aufblähen mit windigem Wort?

3 Nicht weiter führt das Streiten mit Worten, das Sprüchemachen bringt keinen Nutzen.

4 Selbst die Gottesfurcht gibst du auf, legst ab die Gottesverehrung.

5 Es ist deine Schuld, die den Mund dir beredt macht; du sprichst der Überklugen Sprache!

6 Nicht ich – du selbst sprichst dir das Urteil, es widerlegen dich die eigenen Lippen!

7 Bist du als Erster der Menschen geboren, hervorgebracht vor allen Hügeln?

8 Hast du im Rate Gottes gelauscht, hast du allein Weisheit dir errafft?

9 Was weißt du denn, was wir nicht wüßten? Was kennst du denn, was uns blieb verborgen?

10 Unter uns weilen Ergraute und Greise, reicher als selbst dein Vater an Tagen.

11 Sind zu gering dir die Tröstungen Gottes, ein Wort, das an dich in Güte ergeht?

12 Was reißt dich denn dein Unmut fort, was blickt dein Auge so finster,

13 daß du wider Gott schnaubst, daß dein Mund spricht solche Worte?

 

Die allgemeine Verderbtheit des Menschen

14 Was ist der Mensch, daß rein er könnte sein, gerecht, der vom Weibe Geborene?

15 Siehe, er traut seinen Heiligen nicht, selbst die Himmel sind ihm nicht rein.

16 Geschweige der Mensch, der gänzlich verderbte, der wie Wasser trinkt die Sünde.

 

Die Ruhelosigkeit des Gottlosen

17 Ich will es dir künden, so höre mir zu! Erzählen will ich dir, was ich geschaut,

18 was Weise verkündet, was die Väter nicht verhehlt,

19 denen allen noch gehörte das Land – kein Fremder saß in deren Mitte:

20 Der Frevler ängstigt sich fort und fort, soviele Jahre dem Wüterich beschieden.

21 Ihm gellen Schreie des Schreckens ins Ohr, mitten im Glück überfällt ihn das Schwert.

22 Er darf nicht hoffen, der Nacht zu entrinnen: dem Strafgericht ist er geweiht.

23 Er irrt nach Brot, doch wo soll er es finden? Er weiß, daß der Tag des Verderbens ihm naht.

24 Ihn schrecken, ihn packen Angst und Bedrängnis wie ein König, der bereit ist zum Kampf,

25 denn gegen Gott erhob er die Hand und bot Trotz dem Allmächtigen,

26 hartnäckig lief er gegen ihn an, mit seinem dicken gebuckelten Schild.

27 Mit Fett überzog er sich das Gesicht, setzte Speck an um die Hüften.

28 Verfemte Städte nahm er zur Wohnung, verlassene Häuser, dem Einsturz geweiht.

 

Das Ende der Bösen

29 Er bleibt nicht reich, keinen Bestand hat sein Besitz; er faßt nicht mehr Wurzel im Boden.

30 Der Nacht vermag er nicht zu entrinnen, die Hitze dorrt aus seine Zweige, im Sturm fällt ab seine Blüte.

31 Nicht traue der Betrogene dem Nichtigen! Denn eitel ist, was endlich er erhält.

32 Vor der Zeit schon liegt er verwelkt, nie wieder wird grünen sein Gezweig.

33 Wie der Weinstock saure Trauben stößt er ihn ab, wirft ihn hin wie der Ölbaum seine Blüten.

34 Denn unfruchtbar ist der Gottlosen Sippe, die Häuser des Unrechts rafft Feuer hinweg.

35 Schwanger mit Unheil gebären sie Sünde, nur Trug bringt zur Welt ihr Schoß."

 

Kapitel 16: Ijobs Erwiderung: 'Im Himmel ist noch ein Zeuge für mich...'

1 Darauf erwiderte Ijob:

 

Lästige Tröster

2 "Genugsam gehört habe ich derlei Geschichten – ihr alle seid leidige Tröster!

3 Ist nun zu Ende das windige Geschwätz? Was reizt dich, mir so zu entgegnen?

4 Daherschwatzen könnte auch ich wie ihr, wenn ihr hier läget statt meiner! – Schöne Reden wollt ich euch halten, über euch wiegen bedauernd das Haupt.

5 Ich wollte euch schon stärken mit Worten, mit Trostgebärden würzen die Rede!

 

Schmerz über die Verständnislosigkeit der Freunde

6 Doch rede ich nun, so wird mein Schmerz nicht erleichtert, und laß ich es, wie ginge er dann von mir?

7 Wahrlich, nun hat meine Qual mich erschöpft, meine Sippe hast ganz du vernichtet.

8 Mich hast du gepackt. Zeugnis legen wider mich ab die Verleumder, schleudern ins Angesicht mir die Klage.

9 In Stücke reißt mich ihr Grimm! Sie fallen mich an, gegen mich fletschen sie die Zähne, drohend funkeln mich an meine Feinde.

10 Sie schnappen nach mir mit dem Maul, schlagen mich schmählich auf die Wange, gütlich tun sich an mir alle.

11 Bösewichtern gibt Gott mich preis, in die Hände der Frevler läßt er mich fallen.

 

Klage über die Heimsuchung Gottes

12 Friedvoll lebte ich – da hat er mich aufgestört, mich rücklings gepackt und zerschmettert, als Zielpunkt hat er mich aufgestellt, rings umschwirren mich seine Pfeile,

13 erbarmungslos durchschießt er meine Nieren, meine Galle gießt er zur Erde.

14 Bresche auf Bresche reißt er in mich, rennt wider mich an wie ein Kriegsheld.

15 Sacktuch trage ich auf bloßem Leib, mein Stolz hat gebeugt sich zum Staube.

16 Mein Angesicht ist gerötet vom Weinen, Todesnacht liegt um meine Wimpern.

17 Doch klebt kein Unrecht an meiner Hand; lauter war mein Beten!

18 O Erde, decke nicht zu mein Blut! Nie finde mein Wehruf ein Ende!

 

Hoffnung auf Gott als den Anwalt der Unschuld

19 Doch im Himmel ist noch ein Zeuge für mich, noch lebt mir in der Höhe ein Anwalt.

20 Fürsprecher sind für mich meine Leiden; zu Gott schaut in Tränen mein Auge.

21 Er schafft dem Sterblichen Recht vor Gott, dem Menschen gegenüber seinem Nächsten.

22 Denn nur wenige Jahre bleiben mir noch, den Weg ohne Wiederkehr muß ich dann wandern.

 

Kapitel 17: Der göttliche Bürge für ein gerechtes Urteil

1 Mein Geist ist verstört, meine Tage verlöschen, meiner harrt das Grab!

2 Fürwahr! Um mich her Gespött, den Schlaf raubt meinen Augen ihr stures Schwatzen.

3 Hinterlege die Bürgschaft! Du bist Bürge für mich! Wer sonst soll für mich leisten den Handschlag?

4 Solange du ihr Herz der Einsicht verschlossen, wirst du nimmer ihnen gönnen den Sieg!

5 Die Habe will man an andere verteilen, wo doch der Kinder Augen verschmachten.

 

Die falsche Frömmigkeit der Freunde

6 Man gab mich preis dem Gespött aller Welt, man speit mir ins Antlitz.

7 Meine Augen verlöschen vor Gram, wie der Schatten sind alle meine Glieder.

8 Darüber sind entrüstet die Frommen, über die Frevler sind die Reinen empört.

9 Doch nur um so fester steht zu seinem Wandel der Gerechte, an Kraft nur erstarkt noch, wessen Hände rein!

10 So tretet alle nur wieder herzu, unter euch finde ich doch keinen Weisen!

 

Die falsche Weisheit der Freunde

11 Hin sind meine Tage, zerfetzt meine Pläne, die Wünsche meines Herzens.

12 Sie machen die Nacht zum Tag, der Finsternis nähert sich das Licht.

13 Obgleich ich hoffe, wird doch die Unterwelt meine Wohnstatt, im Dunkel bereite ich mein Lager.

14 Zur Fäulnis sage ich: 'Mein Vater bist du!', zum Moder: 'Meine Mutter! Meine Schwester!'

15 Wo gibt es noch wirklich Hoffnung für mich? Mein Glück, wer kann es noch sehen?

16 Zu den Toren des Totenreichs steigen sie nieder – fahren wir zusammen zum Staub?"

 

Kapitel 18: Zweite Rede Bildads: Des Frevlers Schicksal

1 Da antwortete Bildad von Schuach:

2 "Wann macht ihr denn dem Geplapper ein Ende? Kommt zu Verstand! Dann laßt uns weiter reden!

3 Warum sind wir dem Vieh wohl gleichgeachtet, für dumm angesehen in euren Augen?

4 Auch wenn du dich zerfleischst in deinem Wüten: soll deinetwegen denn veröden die Welt, hinwegrücken von seinem Platz der Felsen?

5 Ja, verlöschen wird der Frevler Licht, nicht lodern mehr seines Herdes Flamme.

6 In seinem Zelt wird das Licht sich verfinstern und seine Leuchte über ihm erlischt.

7 Die rüstigen Schritte werden ihm beschränkt, sein eigener Plan bringt ihn zu Fall.

8 Vom eigenen Fuß wird er ins Netz getrieben, ins Fallengitter wandelt er hinein.

9 Die Schlinge packt ihn an der Ferse, es hält ihn fest der Fallstrick.

10 Das Fanggarn liegt für ihn versteckt am Boden, am Weg ist für ihn die Falle bereit.

11 Schrecknisse ringsum versetzten ihn in Angst und hetzen ihn weiter auf Schritt und Tritt.

12 Hungrig lauert ihm das Unheil auf, in seine Seite krallt sich das Verderben.

13 Vom Aussatz wird seine Haut zerfressen, des Todes Erstgeburt zehrt seine Glieder.

14 Man vertreibt ihn aus seinem Zelt, dem er vertraute, jagt ihn hinab zum König des Entsetzens.

15 Statt seiner läßt in seinem Zelt sich Lilit nieder, auf seinen Wohnplatz streut man Schwefel hin.

16 Von unten dorren ihm die Wurzeln ab, von oben her verwelken seine Zweige.

17 Sein Angedenken schwindet aus dem Land, weit und breit bleibt ihm kein Name bestehen.

18 Man stößt ihn weg vom Licht zum Dunkel und treibt ihn fort vom Rund der Erde.

19 Bei seinem Volk bleibt ihm nicht Sproß noch Schößling, in seinem Haus überlebt nicht einer.

20 Ob seines Tages entsetzt man sich im Westen, ein Grausen erfaßt die Leute des Ostens.

21 Ja, so ergeht es dem Haus des Frevlers, so dessen Stätte, der auf Gott nicht achtet!"

 

Kapitel 19: Ijobs Erwiderung: Hoffen auf künftige Rechtfertigung

1 Darauf erwiderte Ijob:

 

Klage über die Härte der Freunde

2 "Wie lange noch wollt ihr mich quälen, mich mit Worten zerstampfen?

3 Ihr höhnt mich schon zum zehnten Mal und schämt euch nicht, mich zu mißhandeln!

4 Habe ich wirklich Sünde getan, wohnt in mir noch meine Verfehlung?

5 Könnt ihr wirklich mich überführen, mir wirklich beweisen meine Schuld?

6 Zur Einsicht kommt! – Gott war es, der mich beugte! Sein Netz ist es, das mich umgarnt.

7 Rufe ich: Gewalttat! – wird mir keine Antwort; schreie ich um Hilfe – wird mir kein Recht.

 

Heftigkeit der Leiden

8 Den Weg hat er mir ja versperrt – ich komme nicht weiter; in Finsternis hüllt er meine Pfade.

9 Mein Ehrenkleid hat er mir abgestreift, vom Haupt mir die Krone gerissen.

10 Ringsum reißt er mich nieder. – Ich muß vergehen! – Wie einen Baum reißt er aus meine Hoffnung.

11 Lodern läßt er wider mich seinen Zorn und stellt mich gleich seinen Feinden.

12 Vereint rücken seine Horden heran, bahnen sich auf mich zu ihren Weg, rings um mein Zelt sie sich lagern.

 

Klage über die Untreue der Hausgenossen

13 Meine Brüder hält er von mir fern, meine Freunde sind mir entfremdet.

14 Es meiden mich meine Verwandten, es vergessen mich meine Vertrauten.

15 Die Hausgenossen sehen mich wie einen Fremden an, in den Augen meiner Mägde ward ich zum Fremdling!

16 Ich rufe meinen Knecht – er gibt keine Antwort; flehentlich muß ich ihn bitten.

17 Zum Ekel ist meiner Frau mein Atem , mein Gestank den Söhnen meiner Mutter.

18 Es verachten mich sogar die Kinder, trete ich wo auf, verspotten sie mich.

19 Es verabscheuen mich meine Vertrauten, und die ich liebte, wenden sich gegen mich.

20 An meiner Haut, an meinem Fleisch klebt mein Gebein; es bleibt mir nur die Haut an meinen Zähnen.

 

Bitte um Mitleid

21 Erbarmt euch! Meine Freunde, habt mit mir Erbarmen, denn getroffen hat mich die Hand Gottes.

22 Was verfolgt auch ihr mich wie Gott, werdet nicht satt, mich zu zerfleischen?

 

Ungebrochenes Vertrauen auf Gott als den künftigen Erlöser

23 O, schriebe man doch meine Worte auf, trüge man sie doch in ein Buch ein;

24 wären sie doch in den Felsblock für immer eingemeißelt mit Eisengriffel und mit Blei!

25 Ich weiß, daß mein Erlöser lebt. Von der Erde werde ich am letzten Tage auferstehen.

26 Dann wird meine Haut wieder um mich sein, und schauen werde ich Gott in meinem Fleisch.

27 Ja, ich selber werde ihn schauen! – Doch werden ihn meine Augen nicht mehr sehen als Gegner! – Danach sehnen sich in mir meine Nieren.

 

Warnung an die Freunde

28 Wenn ihr noch denkt: Wir setzen ihm zu! – denn in mir sei der Grund des Schicksals zu finden –

29 so seid vor dem Schwert auf der Hut; denn das Schwert ist Rächer der Schuld! Bedenkt, es lebt noch ein Richter!"

 

Kapitel 20: Zweite Rede Zofars: Die Erfahrung zeigt, daß der Böse bestraft wird

1 Da entgegnete Zofar von Naama:

 

Zurückweisung Ijobs

2 "Dagegen sträubt sich mein Denken, deshalb kocht es in meiner Brust,

3 daß vom Verfemten ich Rügen muß hören, auf meine Einsicht mir Dunst ward zur Antwort!

 

Der Gottlosen kurzes Glück

4 Kennst du nicht die uralte Weisheit, die alt wie der Menschen Dasein auf Erden?:

5 Nur kurze Zeit währt der Jubel der Frevler, einen Augenblick nur des Bösen Lust.

6 Mag sein Dünkel sich auch bis zum Himmel erheben, sein Scheitel die Wolken streifen:

7 Gleich seinem Unrat vergeht er auf immer! – 'Wo ist er nun?' – fragt dann, wer ihn hat gekannt.

8 Spurlos verfliegt er, gleich dem Traum, wie ein Gesicht der Nacht er zerflattert.

9 Das Auge, das ihn gesehen, sieht ihn nie wieder, nie mehr erblickt ihn seine Heimstatt.

10 Um die Gunst der Bettler buhlen seine Kinder, seinen Reichtum verlor er durch eigene Hand.

11 Mag sein Leib auch strotzen von Jugend: In die Erde muß sie sich betten mit ihm.

 

Die schrecklichen Folgen des Bösen

12 Das Böse schmeckt wohl süß seinem Mund; er birgt es unter seiner Zunge!

13 Er spart es auf und will von ihm nicht lassen, tief in seinem Gaumen bewahrt er es.

14 Doch in seinem Innern wandelt sich die Speise, zu Otterngift wird sie in seinem Leib.

15 Das Gut, das er verschlang, erbricht er wieder, aus seinem Bauch zwingt es Gott hervor.

16 Das Gift der Nattern sog er ein – nun gibt ihm der Viper Zunge den Tod.

17 Nicht laben darf er sich an Bächen, an wogenden Strömen von Honig und von Milch.

18 Hergeben muß er, was er errafft, er darf es nicht genießen; des reichen Gewinnes wird er nicht froh.

19 Er übte Bedrückung, ließ hilflos die Armen, raubte ein Haus, das er nicht erbaut,

20 sein Bauch kennt kein Genug – doch trotz seiner Schätze kann er sich nicht retten.

21 Nichts entging seiner Gier, doch ist sein Glück nicht von Dauer.

 

Des Frevlers Verderben durch Gottes Zorn

22 In des Reichtums Fülle kommt er in Not, das Unheil dringt mit Wucht auf ihn ein.

23 Geht er daran, sich den Bauch zu füllen, schickt Gott ihm die Glut seines Zornes und läßt regnen auf ihn sein Verderben.

24 Will er den eisernen Waffen entrinnen, erreicht ihn der eherne Bogen.

25 Er zielt: Schon dringt aus seinem Rücken der blitzende Stahl, durchbohrt seine Galle, befallen ihn Schrecken des Todes.

26 Alle Finsternis ist ihm aufbewahrt wie ein Schatz. Feuer frißt ihn, das niemand entfacht, verzehrt, was noch übrig in seinem Zelt.

27 Der Himmel tut seine Sünde kund, die Erde selber steht gegen ihn auf.

28 Seines Hauses Reichtum wälzt die Flut hinweg, wird fortgeschwemmt am Tag seines Zornes.

29 Das ist des Frevlers Geschick von Gott, das ist das Erbe, das Gott ihm vermacht!"

 

Kapitel 21: Ijobs Erwiderung: Der Gottlosen lebenslanges Glück

1 Darauf erwiderte Ijob:

 

Bitte um ruhiges Gehör

2 "Ach, hört meinem Wort doch ruhig zu! Soll dies denn sein euer Trösten?

3 Vergönnt mir doch, daß ich rede; habe ich gesprochen, mögt immer ihr höhnen!

4 Ist mein Klagen denn Alltagsgejammer? Wie? Darf mich nicht packen der Unmut?

5 Hört mich! Erstarrt! Legt die Hand auf den Mund!

6 So ich daran denke, faßt mich ein Schauer, am ganzen Leib ich erbebe.

 

'Warum bleiben die Frevler am Leben?'

7 Warum bleiben am Leben die Frevler, werden alt und reich an Besitz?

8 Gesund steht ihr Nachwuchs vor ihnen, und ihre Sprößlinge vor ihren Augen?

9 Sicher vor Gefahr sind ihre Häuser, die Zuchtrute Gottes liegt nicht auf ihnen.

10 Keinen Fehlsprung tut ihr Stier, keinen Fehlwurf ihr Rind beim Kalben.

11 Sie lassen wie Lämmer ihre Kinder hinaus, froh tummeln sich ihre Kleinen,

12 singen zu Pauke und Zither, sind fröhlich beim Klang der Flöte.

13 Sie verbringen voll Glück ihre Tage, in Frieden fahren sie zur Unterwelt,

14 und doch sagten sie zu Gott: 'Weiche von uns! Von deinen Wegen wollen wir nichts wissen!

15 Was ist der Allmächtige, daß wir ihm dienen? Was nützt es uns, bittend ihn anzugehen?' –

 

Spöttisches Eingehen auf den Beweis der Freunde

16 Nicht in ihrer Hand liegt das Glück, fern bleibe mir der Gottlosen Denkart! –

17 Doch: wie oft erlischt denn der Frevler Licht, kommt über sie ihr Verderben? Verhängt er Qualen in seinem Zorn,

18 daß sie wie Häcksel sind vor dem Wind, wie Spreu, die der Sturm entführt?

19 'Seinen Kindern spart Gott das Elend auf?' – Ihm selbst möge er vergelten, daß er selbst es fühle!

20 Mit eigenen Augen soll er sein Unglück sehen, soll selber trinken vom Groll des Allmächtigen!

21 Wie es seinem Haus nach ihm ergeht – was kümmert es ihn, wenn die Zahl seiner Monde vollendet?

 

Berufung auf Gottes unerforschliches Walten

22 'Darf man Gott wohl Einsicht lehren, ihn, der richtet in himmlischen Höhen?' –

23 In voller Frische verscheidet der eine, sorgenlos und wohlgemut.

24 Voll von Milch sind seine Kübel, das Mark seiner Knochen ist wohlgenährt.

25 Der andere stirbt in bitterem Weh, hat niemals das Glück gekostet.

26 Nun liegen sie beide gemeinsam im Boden, der Moder deckt sie beide. –

 

Zurückweisung der Einseitigkeit der Freunde

27 Seht, wohl kenne ich eure Gedanken, die Ränke, die ihr sinnt gegen mich!

28 Ihr denkt: 'Wo ist nun das Haus des Fürsten, wo das Zelt, darin die Gottlosen wohnten?'

29 Habt ihr denn die nicht um Rat gefragt, die dahinziehen ihrer Wege? Könnt ihr ihr Zeugnis verkennen?

30 Der Böse bleibt am Tag des Verderbens verschont; heil entrinnt er am Tag des Zornes.

31 Wer hält ins Gesicht seinen Wandel ihm vor, wer vergilt ihm, was er getrieben?

32 Man gibt zur Grabstätte ihm noch das Geleit und trägt für ein Grabmal noch Sorge.

33 Sanft liegen des Tales Schollen auf ihm; hinter ihm ziehen alle Leute und vor ihm eine zahllose Menge:

34 da wollt ihr mich trösten mit Nichtigkeit? – Von euren Einwänden bleibt Falschheit nur übrig!"

 

Kapitel 22: Dritte Rede des Elifas: 'Du wirst gerettet, wenn rein deine Hände!'

1 Da antwortete Elifas von Teman:

 

Des Menschen Tugend sein eigener Nutzen

2 "Hat denn Gott einen Nutzen vom Menschen? – Nein, der nützt nur sich selbst!

3 Ist es für den Allmächtigen ein Vorteil, wenn du gerecht bist? Hat er Gewinn, wenn unsträflich dein Wandel?

4 Straft er dich denn deiner Gottesfurcht wegen, geht er wohl deshalb mit dir ins Gericht?

 

Ijobs angebliche Freveltaten

5 Ist nicht vielmehr sehr groß deine Bosheit, maßlos deine Schuld?

6 Weil deine Brüder du grundlos gepfändet, den Nackten die Kleider du nahmst,

7 dem Erschöpften kein Wasser du reichtest, dem Hungrigen versagtest das Brot?

8 'Dem Mann der Gewalttat gehört das Land, es wohnt darin, wer Ansehen hat.'

9 Witwen ließest du hilflos ziehen, zerbrochen wurden die Arme der Waisen.

10 Deshalb sind Schlingen rings um dich her, packt dich plötzlich die Angst mit Grausen.

11 Dunkel umgibt dich, daß du nicht sehen kannst, es bedeckt dich das wogende Wasser!

 

Ijobs Gleichstellung mit den Frevlern der Vorzeit

12 Gott ist hoch oben im Himmel. – Sieh doch, wie hoch der Scheitel der Sterne!

13 Da hast du gedacht: 'Was sollte Gott merken? Kann durch die Wolken hindurch er wohl richten?

14 Ihn hüllen doch Wolken: Er kann nichts sehen! Er wandelt einher am Gewölbe des Himmels!'

15 Willst du des Pfades der Vorzeit ziehen, den einst gingen die Männer des Frevels,

16 die hinweggerafft wurden schon vor der Zeit, denen zum Gießbach der Boden zerfloß?

17 Die zu Gott sprachen: 'Geh weg von uns!' – 'Was könnte der Allmächtige uns antun!'

18 Zwar hat er mit Gütern ihre Häuser gefüllt, doch fern bleibt ihm der Gottlosen Denkart!

19 Die Gerechten werden es voll Freude sehen, und der Schuldlose wird sie verspotten:

20 'Fürwahr, vernichtet sind unsere Gegner, das Feuer hat ihren Nachlaß verzehrt!'

 

Gottes Erbarmen im Fall der Bekehrung

21 Schließ mit ihm Freundschaft und halte Frieden! So wird nur Glück dir zuteil.

22 Aus seinem Mund nimm an Belehrung und laß seinen Rat dir zu Herzen gehen!

23 Du wirst auferbaut, wenn du dich wieder zum Allmächtigen wendest! Entferne aus deinem Zelt den Frevel!

24 Erachte das Golderz für eitel Staub, für Bachesgeröll das Ofirgold.

25 Dann wird der Allmächtige dein Golderz sein, dein Silberschatz seine Weisung!

26 Dann wirst du am Allmächtigen Freude finden, zu Gott dein Antlitz erheben!

27 Du betest zu ihm, und er wird dich erhören! Du löst ein, was du gelobt hast!

28 Was du dir vornimmst, wird dir gelingen! Auf deinen Wegen leuchtet das Licht!

29 Führen sie abwärts, rufst du: Hinauf! – Dem Demutsvollen leistet er Hilfe.

30 Er rettet auch den, der nicht frei ist von Schuld. Du wirst gerettet, wenn rein deine Hände."

 

Kapitel 23: Erwiderung Ijobs: Ruf nach dem Richterspruch Gottes

1 Darauf erwiderte Ijob:

 

'Daß ich doch wüßte, wo ich ihn fände...'

2 "So gilt auch heute meine Klage als Trotz: Schwer drückt seine Hand auf mein Seufzen.

3 O, wüßte ich doch, wo ich ihn finden kann, daß vor seinen Richterstuhl ich könnte treten!

4 Anhängig machte ich bei ihm meine Sache; voll von Beweisen wäre mein Mund!

5 Begierig wäre ich der Worte, die er zur Antwort mir gäbe! Was er zu sagen mir weiß, möchte ich erfahren!

6 Ob er in Machtfülle stritte mit mir? – Nein, er würde merken auf mich!

7 Dort würde ein redlicher Mann mit ihm streiten, frei für immer käme ich von meinem Richter!

8 Doch gehe ich gen Osten: Er ist nicht da! Und gehe ich gen Westen: Ich sehe ihn nicht!

9 Wirkt er im Norden: Ich schaue ihn nicht! Biegt er gen Süden: Ich erspähe ihn nicht!

10 Er aber kennt meinen Wandel! – Wie Gold ginge ich hervor, prüfte er mich!

11 An seinen Schritten hielt fest mein Fuß, seinen Weg hielt ich ein und bog niemals ab.

12 Seiner Lippen Satzung verließ ich nie, seines Mundes Worte barg meine Brust.

 

'Ich schrecke vor seinem Antlitz zurück...'

13 Doch er bleibt sich gleich. Wer kann ihm das wehren? Was er beschlossen, das führt er aus.

14 Vollenden wird er auch mein Geschick, im Sinn hat er derlei noch manches.

15 Darum schrecke ich vor seinem Antlitz zurück, es graut mir vor ihm, wenn ich daran denke.

16 Das Herz hat Gott mir verzagt gemacht, der Allmächtige versetzt mich in Schrecken.

17 Denn bin ich nicht umschlossen von Finsternis, umhüllt nicht das Dunkel mein Antlitz?

 

Kapitel 24: Gottes unbegreifliches Verhalten gegen Unrecht

1 Sind Strafzeiten nicht vom Allmächtigen bestimmt? Schauen nicht Tage seines Gerichtes seine Treuen?

 

Frevel am Eigentum

2 Man verrückt Grenzen, man raubt Herden und treibt sie zur Weide.

3 Den Waisen führt man den Esel weg, das Rind der Witwe man pfändet.

4 Vom Wege drängt man die Armen fort. Im Land verstecken sich all die Geringen.

5 Seht, wie in der Wüste die wilden Esel, ziehen sie zu ihrem Tagewerk aus, in der Steppe sich Nahrung zu suchen, für ihre Kinder Brot.

6 Auf dem Felde mähen sie Futter ab, halten Nachlese im Weinberg des Frevlers.

7 Der Kleider bar übernachten sie nackt, in der Kälte fehlt ihnen die Decke.

8 Vom Regen der Berge triefen sie, sie schmiegen sich an den Fels ohne Obdach.

 

Frevel am Menschen

9 Von der Mutterbrust reißt man die Waise weg, den Armen bedrückt man mit Pfändung.

10 Sie gehen nackt, ohne Kleider, einher und schleppen hungernd die Garben.

11 In ihren Mauern pressen sie Öl, treten die Kelter und dürsten.

12 Sie stöhnen unter der Menschen Wut. Der Todwunden Seele schreit um Hilfe. – Doch der Schandtat achtet Gott nimmer.

 

Straflosigkeit der Mörder, Diebe und Ehebrecher

13 Andere sind bei den Feinden des Lichts, sie kennen nicht Gottes Wege; sie verharren nicht auf seinen Pfaden.

14 Beim Morgengrauen erhebt sich der Mörder, er tötet Geringe und Arme; es schleicht umher der Dieb in der Nacht.

15 Des Ehebrechers Auge erwartet die Dämmerung. Er denkt: 'Kein Auge erspäht mich!' – Und er vermummt sich das Angesicht.

16 In die Häuser brechen sie im Dunkeln ein; tagsüber dann verschließen sie sich – vom Licht wollen sie nichts wissen.

17 Denn der Morgen ist ihnen allen ein Graus, da man sehen kann eine Zeit tödlicher Schrecken.

 

Verwünschung der Frevler

18 Er gehe zugrunde auf des Wassers Fläche! Verflucht sei sein Erbteil im Lande! Nie mehr schlage er den Pfad zum Weinberg ein!

19 Wie die dörrende Hitze das Schneewasser saugt, verschlinge die Unterwelt den Frevler!

20 Vergessen soll ihn der Mutter Leib! Gewürm soll an ihm sich laben! Nimmer werde seiner gedacht! Wie ein Baum werde zerhauen die Bosheit!

21 Einer Unfruchtbaren, die nicht gebiert, sei er zugesellt, er, der nichts Gutes tat der Witwe! –

 

Den Frevlern wird langes Leben und ein natürlicher Tod zuteil

22 Doch langes Leben gibt dem Gewaltmenschen seine Macht! – So einer steht wieder auf, wenngleich er dem Leben nicht mehr traute.

23 Sicherheit gibt er ihm, daß er Halt gewinnt. Sein Blick bewacht seine Wege.

24 Hoch stehen sie da – eine Weile: sie sind nicht mehr. Sie sinken zusammen, vergehen wie alles. Man schneidet sie ab wie die Spitzen der Ähren.

25 Ist es nicht so? Wer straft mich dann Lügen? Wer erweist meine Rede als nichtig?!"

 

Kapitel 25: Dritte Rede Bildads: Berufung auf Gottes Erhabenheit

1 Da antwortete Bildad von Schuach:

 

Gottes geordnetes, gütiges Walten

2 "Kann der denn eine Schreckensherrschaft führen, der in den Höhen friedlich Ordnung schafft?

3 Gibt es für seine Scharen eine Zahl? Über wem strahlt denn nicht auf sein Licht?

 

Gottes unermeßliche Macht und Weisheit

4 Wie kann ein Mensch gegen Gott im Recht sein? Wie kann rein sein der vom Weibe Geborene?

5 Siehe, auch der Mond scheint nicht unbefleckt, auch die Sterne sind nicht rein in seinen Augen!

6 Geschweige denn der Mensch, diese Made – das Menschenkind, dieser Wurm!"

 

Kapitel 26: Ijobs Erwiderung: Die unbeschreibliche Größe Gottes

1 Darauf erwiderte Ijob:

 

Spöttische Abrechnung mit Bildads Dünkel

2 "Wie hast du so trefflich der Ohnmacht geholfen, den Arm gestützt, dem es gebricht an Stärke!

3 Wie hast du so gut die Torheit beraten und Weisheit ans Licht gestellt in Menge!

4 Wen hast du denn nun belehren wollen? Wessen Atem geht von dir aus?

 

Gottes unermeßliche Macht und Weisheit

5 Vor ihm entsetzen die Toten sich, das Wasser und seine Bewohner.

6 Die Unterwelt liegt entblößt vor ihm, der Abgrund ohne Hülle.

7 Über dem Chaos spannt er den Norden aus, über dem Nichts läßt er schweben die Erde.

8 In seine Wolken er die Wasser bannt, ohne daß das Gewölk unter ihnen zerbirst.

9 Er überdeckt die Scheibe des Vollmonds und breitet sein Gewölk darüber aus.

10 Einen Kreis zieht er rings um die Fläche des Wassers, da wo das Licht an die Finsternis grenzt.

11 Die Säulen des Himmels geraten ins Wanken, sie erbeben vor seinem Drohen.

12 Das Meer macht er brausen durch seine Kraft, durch seine Weisheit zerschlägt er Rahab.

13 Heiter wird der Himmel durch seinen Hauch, seine Hand durchbohrt die flüchtige Schlange.

14 Doch das sind erst seines Waltens Säume, ein Flüstern nur ist, was wir hören von ihm! – Wer mag da seiner Allmacht Donnern verstehen?"

 

Kapitel 27: Ijobs Schlußrede

1 Darauf fuhr Ijob mit seiner Rede also fort:

 

Der Reinigungseid

2 "So wahr Gott lebt, der mein Recht mir entzog, der Allmächtige, der mir vergällt mein Leben:

3 Solange in mir noch mein Atem weilt, Gottes Hauch in meiner Nase:

4 sollen meine Lippen nichts Falsches reden, nicht lügen soll meine Zunge!

5 Doch sei es mir fern, euch recht zu geben! – Bis ich verscheide, verleugne ich meine Unschuld nicht!

6 Fest stehe ich zu meinem Rechtsein. Das will ich nicht lassen! Mein Herz tadelt nicht einen meiner Tage!

 

Der Untergang der Frevler

7 Meinem Feind soll es wie dem Frevler ergehen, wie dem Gottlosen meinem Gegner!

8 Denn was ist des Ruchlosen Hoffnung, wenn Gott seine Seele abschneidet, sie herausreißt?

9 Wird Gott sein Wehgeschrei hören, wenn Drangsal über ihn einbricht?

10 Kann er sich des Allmächtigen freuen, sich allzeit auf Gott berufen?

11 Ich will über Gottes Tun euch belehren, was der Allmächtige bestimmt, will ich nicht verhehlen!

12 Seht, ihr habt es ja doch alle erfahren! Was hegt ihr noch törichte Hoffnung?

13 Dies ist des Frevlers Anteil bei Gott, und dies des Gewaltmenschen Erbe, das vom Allmächtigen sie nehmen:

14 Wenn sich mehrt die Schar seiner Kinder, so ist es für das Schwert! Nicht satt zu essen haben seine Sprößlinge.

15 Den Rest der Seinen rafft die Seuche ins Grab, seine Witwen beklagen nicht den Toten.

16 Wenn er auch Silber aufhäuft wie Staub, und Kleider sich sammelt wie Lehm:

17 Er legt sie zurück, doch der Gerechte zieht sie an, das Silber erben die Frommen.

18 Er hat sein Haus wie die Spinne gebaut, wie eine Hütte, die der Feldhüter hinstellt.

19 Reich legt er sich schlafen, zum letzten Mal. Macht er wieder die Augen auf, ist alles entschwunden.

20 Wie Wasserflut brausen Schrecknisse über ihn her, über Nacht entführt ihn der Sturmwind.

21 Der Ostwind fährt daher, hebt ihn hoch, fegt ihn von seiner Stätte.

22 Ohne Erbarmen schießt er auf ihn, vor seiner Hand muß er fliehen.

23 In die Hände klatscht man über ihn und zischt ihn fort von seiner Wohnstatt.

 

Kapitel 28: Das Lied auf die Weisheit

Die Größe menschlicher Weisheit im Bergbau

1 Ja, des Silbers Fundort kennt man genau, die Stätte, wo das Gold man wäscht.

2 Aus der Erde holt man das Eisen heraus, zu Erz wird das Gestein geschmolzen.

3 Der Finsternis macht man ein Ende, durchforscht bis zum letzten Winkel des Gesteins nächtliches Dunkel.

4 Fern von den Lebenden bricht man Schächte. Ohne Halt für den Fuß hängt man, schwebt hinunter, weitab von den Menschen.

5 Die Erde, aus der das Brotkorn sprießt, wird tief zerwühlt wie durch Feuer.

6 Der Saphir ruht in ihrem Gefels, und Goldstaub ist dort zu finden.

7 Kein Adler kennt den Zugang dorthin, noch erspäht ihn des Habichts Auge.

8 Das stolze Wild betritt ihn nie, kein Löwe hat je ihn betreten.

9 Doch der Mensch legt Hand an das Felsgestein, wühlt auf die Wurzeln der Berge.

10 In den Felsen haut er Stollen hinein: Alles Kostbare schaut nun sein Auge.

11 Er spürt die Quellen der Ströme auf, das Verborgenste bringt er zum Licht. –

12 Die Weisheit aber, wo findet sie sich? Die Einsicht, wo ist sie zuhause?

 

Wo menschliches Forschen und Vermögen versagen

13 Der Mensch kennt nicht den Weg zu ihr, sie weilt nicht im Land der Lebendigen.

14 Die Tiefe spricht: hier ist sie nicht! Das Meer spricht: bei mir weilt sie nimmer!

15 Kein kostbares Gold kann man geben für sie, noch Silber ihr wiegen als Kaufpreis.

16 Man wiegt sie nicht auf mit Ofirgold, noch mit kostbarem Onyx und Saphir.

17 Sie läßt sich nicht messen mit Gold und mit Glas, man tauscht sie nicht ein mit Geschmeide.

18 Korallen, Kristall – man schweige davon! – Der Weisheit Besitz ist mehr wert als Perlen.

19 Man erhält sie nicht um Topase aus Kusch, nicht wird sie gewogen um Feingold.

20 Die Weisheit also, wo kommt sie her? Die Einsicht, wo ist sie zuhause?

 

Gott, der Quell und Spender der Weisheit

21 Sie ist verhüllt aller Wesen Blick, selbst den Vögeln des Himmels verborgen.

22 Der Abgrund spricht und das Totenreich: Wir hörten von ihr nur Gerüchte.

23 Nur Gott ist es, der den Weg zu ihr weiß, nur er allein kennt ihren Fundort.

24 Denn bis zu den Grenzen der Welt reicht sein Blick, er sieht alles, was unter dem Himmel.

25 Als er dem Wind seine Wucht bestimmte, das Wasser abgrenzte mit dem Maß,

26 als er dem Regen bestellte seine Zeit, eine Bahn wies dem Wüten der Wetter:

27 Da sah er sie und tat sie kund, hat sie hingestellt und ergründet.

28 'Gott fürchten ist Weisheit!' – zum Menschen er sprach – 'und Böses meiden ist Einsicht!'

 

Kapitel 29: Ijobs Selbstgespräch

Rückschau auf die glückliche Vergangenheit

1 Darauf setzte Ijob seine Rede also fort:

2 "Ach wär es doch mit mir, wie es vor Monden noch war, in den Tagen, da Gott mich beschirmte!

3 Da über dem Haupt seine Leuchte mir schien, sein Licht mich führte durchs Dunkel!

4 So wie ich zur Zeit meiner Jünglingskraft war, als Gott mein Zelt noch umhegte,

5 als noch mit mir der Allmächtige war, meine Kinder sich rings um mich scharten,

6 als in Butter ich mir die Füße wusch, und Bäche von Öl mir der Fels ergoß!

7 Ging ich hinaus zum Tor, vor die Stadt, meinen Sitz auf dem Torplatz zu nehmen,

8 versteckten sich Knaben, als sie mich sahen, es erhoben sich die Alten und blieben stehen;

9 Fürsten hielten im Reden an, sie legten die Hand auf den Mund.

10 Jäh verschlug es den Edlen die Stimme, am Gaumen klebte ihre Zunge.

11 Ja, selig pries mich das Ohr, das mich hörte, das Auge lobte mich, das mich sah.

12 Ich habe ja gerettet den Armen, der schrie, die Waise ohne Beschützer.

13 Der Segen der Verlorenen kam über mich; froh machte ich das Herz der Witwe.

14 Gerechtigkeit war mir das Kleid, das mich hüllte, mein Rechtssinn mir Mantel und Kopfbund.

15 Auge ward ich dem Blinden, dem Lahmen Fuß,

16 den Armen Vater. – Ich verfocht des Unbekannten Rechtsstreit.

17 Des Schurken Gebiß zerbrach ich, entriß seinen Zähnen den Raub.

18 So dachte ich, in meinem Nest zu sterben, dem Sand gleich zu mehren meine Tage;

19 offen läge meine Wurzel zum Wasser hin, und Nachttau befiele meine Zweige.

20 Mein Glück erneuerte sich stets bei mir, in meiner Hand erstarkte der Bogen!

21 Man hörte voller Erwartung auf mich, und lauschte still meinem Ratschlag.

22 Wenn ich gesprochen, nahm keiner das Wort, mein Wort rauschte auf sie nieder.

23 Sie harrten mein wie des Regenfalls, nach mir lechzten sie wie im Frühling nach Regen.

24 Ich lachte sie an, wenn mutlos sie waren, mein heiteres Gesicht konnten sie nicht trüben.

25 Den Weg bestimmte ich für sie, saß da als ihr Haupt; dem König im Heerbann gleich thronte ich, wie einer, der Trauernde tröstet.

 

Kapitel 30: Die unglückliche Gegenwart

Verachtung und Spott

1 Und nun verlachen mich Leute, die an Tagen jünger als ich, deren Väter bei meiner Hunde Herde anzustellen ich verschmähte.

2 Was sollte mir auch ihrer Hände Kraft, alles Mark war ihnen geschwunden.

3 Durch Mangel und Hunger sind sie erschöpft, das dürre Land sie benagen, das Gras der Wüste und Öde.

4 Sie pflücken Salzkraut beim Heidegestrüpp und Ginsterwurzel als Speise.

5 Aus dem Volk stößt man sie aus, schreit auf sie los wie auf Diebe.

6 In schaurigen Schluchten müssen sie hausen, in Erdlöchern, in Klüften der Felsen.

7 Zwischen den Heidbüschen schreien sie kläglich, kauern sich zusammen unter wildem Gestrüpp.

8 Schlechtes Gesindel, ehrlose Brut, die aus dem Land hinausgepeitscht wurde.

9 Und nun bin ich ihnen zum Spottlied geworden, ich muß ihnen dienen zum Sprichwort.

10 Voll Ekel rücken sie von mir weg und scheuen sich nicht, mir ins Antlitz zu speien.

11 Weil er mein Zeltseil löste, mich niederwarf, lassen sie die Zügel vor mir schießen.

12 Zur Rechten erhebt sich die Schar, stößt die Füße mir weg, Dämme wirft sie auf zu meiner Vernichtung.

13 Meine Wege reißen sie auf, mein Verderben betreiben sie – und niemand wehrt es ihnen.

14 Wie durch eine breite Bresche brausen sie an, überrollen mich mit Verwüstung.

15 Schrecknisse stürzen über mich hin, wie vom Sturm wird hinweggefegt meine Würde, mein Heil entschwindet wie die Wolke.

 

Klage über Gottes Feindschaft

16 Nun härmt sich in mir meine Seele ab, mich umklammern Tage des Elends.

17 Nächtens bohrt es in meinem Gebein, nicht ruhen meine nagenden Qualen.

18 Er packt mein Gewand mit großer Gewalt, umschließt mich wie des Leibrocks Öffnung.

19 In den Kot stieß er mich hinein – wie Staub wurde ich und wie Asche.

20 Ich schreie zu dir, doch du hörst nicht auf mich. Halte ich ein, so machst du gegen mich Pläne.

21 Zum Wüterich hast du dich mir verkehrt, mit harter Faust mich befehdet.

22 Hoch empor reißt du mich im Sturmwind und läßt mich treiben, erschütterst mich im Wettertosen.

23 Ja, ich weiß: du willst mich treiben in den Tod, zum Sammelplatz aller, die lebten.

 

Begründung seines Aufbegehrens

24 Doch, streckt man versinkend die Hand nicht aus, schreit man in der Not nicht um Hilfe?

25 Fürwahr, ich weinte, ging es anderen hart, das Herz tat mir weh um den Armen.

26 Ich hoffte auf Glück, es kam aber Unheil; ich harrte auf Licht, doch wich nicht das Dunkel.

27 Es brodelt in mir ohne Unterlaß, mich ereilten Tage des Leides.

28 Betrübt, ohne Sonne schleiche ich umher, ich erhebe mich und schreie vor allen.

29 Den Schakalen bin ich zum Bruder geworden, zum Genossen ward ich den Straußen.

30 Schwarz schält die Haut sich von mir ab, mein Gebein brennt in der Glut des Fiebers.

31 Meine Zither wurde zum Trauerspiel, meine Flöte zu bitterem Schluchzen.

 

Kapitel 31: Erneute Beteuerung der Unschuld

Freiheit von böser Begierde

1 Ein Bündnis schloß ich mit meinen Augen, wie soll ich nach einer Jungfrau da schauen?

2 Was ward mir dort oben von Gott zuteil, vom Allmächtigen im Himmel zum Erbe?

3 Gebührt nicht dem Frevler das Unheil, das Unglück dem Übeltäter?

4 Gibt er auf meine Wege nicht acht, zählt er nicht all meine Schritte?

 

Zu große Strafe für etwaige fremde Sünden

5 Pflegte mit Lügnern ich Umgang, schritt mein Fuß bei Betrug nicht ein,

6 so möge er mich wiegen mit rechter Waage: Gott wird meine Unschuld erkennen!

 

Freiheit von Schuld gegen das Recht des Nächsten

7 So mein Schritt gewichen vom Weg, mein Herz gefolgt meinen Augen, an meinen Händen ein Schandfleck klebt,

8 soll, was ich säe ein anderer verzehren, soll entwurzelt sein, was mir aufsprießt!

9 So mein Herz sich betören ließ vom Weib, so ich lauerte an des Nachbarn Türe,

10 soll einem anderen mahlen meine Frau, soll sich zu ihr gesellen ein Fremder!

11 Dies wäre ja Schandtat, ein Frevel, der vor den Richter gehört!

12 Dies wäre ja ein Brand, der bis zum Abgrund frißt und wegrafft all meine Habe!

13 So ich mißachtet das Recht meines Knechtes, meiner Magd, wenn Streit sie mit mir hatten,

14 was könnte ich dann tun, wenn Gott sich erhebt, wenn er nachforscht, was ihm erwidern?

15 Hat nicht im Mutterleib auch ihn mein Schöpfer geschaffen, hat nicht im Mutterschoß uns beide derselbe geformt? –

 

Freiheit von Schuld gegen den Nächsten

16 So ich abwies der Armen Begehren, verschmachten ließ die Augen der Witwe,

17 so ich für mich allein meinen Bissen verzehrte, und nicht die Waise ihr Teil davon nahm –

18 wie ein Vater zog ich sie doch von Jugend an auf, und von meiner Mutter Schoß an habe ich sie geleitet,

19 so ich Verlassene ohne Bekleidung sah, den Armen bar der Decke,

20 und wußten mir nicht seine Hüften Dank, weil sie wärmte die Schur meiner Schafe,

21 so ich je wider Waisen erhob die Faust, weil im Tor ich fand einen Helfer:

22 dann soll sich die Schulter vom Nacken mir lösen, mein Arm aus den Gelenken brechen!

23 Denn das Strafgericht Gottes war mir ein Schrecken; vor seiner Erhabenheit hielte ich nicht stand.

 

Freiheit von Mammon- und Gestirndienst

24 So ich auf Gold mein Vertrauen gesetzt, zum Feingold sprach: 'Du bist meine Hoffnung!',

25 so es mich gefreut, daß groß mein Besitz, daß so viel meine Hand schon erworben,

26 so ich zur Sonne geschaut, wie sie strahlt, zum Mond, wie er prangend dahinzieht,

27 mein Herz sich heimlich betören ließ und ich ihnen eine Kußhand emporwarf:

28 auch dies wäre Schuld, die vor den Richter gehört, weil ich Gott in der Höhe verleugnet!

 

Feindesliebe und Gastfreundschaft

29 So ich Freude gefühlt bei meines Feindes Fall und frohlockte, traf ihn ein Unglück,

30 meinen Mund habe ich nie der Sünde geliehen, durch einen Fluch sein Leben zu fordern! –

31 fürwahr, es gestanden meine Zeltgenossen: 'Wer wurde vom Fleisch seines Schlachtviehs nicht satt' –

32 zu nächtigen brauchte der Fremdling nicht draußen, meine Tür stand dem Wanderer offen!

 

Wahrheitsbeteuerung

33 So ich, wie Menschen es tun, meine Sünde verheimlicht, meine Schuld in meiner Brust vergraben,

34 weil ich die große Menge gescheut, der Sippen Verachtung gefürchtet, – dann würde ich verstummen, vor die Tür ginge ich nicht!

 

Der zweite Reinigungseid

35 Gäbe es doch einen, der mich hört! Hier meine Unterschrift! – Der Allmächtige gebe mir Antwort! Die Klageschrift, die mein Gegner schrieb –

36 fürwahr, ich nähme sie auf meine Schulter und wände sie um mich als Ehrenkranz!

37 Die Zahl meiner Schritte wollte ich ihm künden, wie ein Fürst träte ich an ihn heran!

38 So mein Acker wider mich schrie und seine Furchen weinten,

39 weil ich seine Frucht ohne Zahlung verzehrt und so seinen Erbherrn betrübte:

40 soll statt des Weizens die Distel mir sprossen, das Unkraut statt der Gerste!" – Ijobs Reden waren zu Ende.

 

Kapitel 32: Die Reden Elihus

Einleitung

1 Jene drei Männer gaben es auf, Ijob Antwort zu geben, weil er nun in ihren Augen gerecht war.

2 Doch da entbrannte der Zorn Elihus, des Sohnes Barachels, von Bus aus der Sippe Ram. Über Ijob entbrannte sein Zorn, weil er sich Gott gegenüber für gerecht hielt.

3 Und über seine drei Freunde entbrannte sein Zorn, weil sie keine Antwort mehr fanden und Ijob doch ins Unrecht setzten.

4 Elihu hatte mit seiner Rede an Ijob gewartet, weil jene an Jahren älter waren als er.

5 Als aber Elihu sah, daß jene drei Männer nichts mehr zu antworten wußten, packte ihn der Zorn.

 

Rechtfertigung seines Eingreifens

6 Und Elihu, der Sohn Barachels, von Bus, hob an: "Zwar bin ich jung noch an Jahren, und ihr seid hochbetagt. Darum war ich zaghaft und scheute mich, euch mein Wissen zu zeigen.

7 Ich dachte: das Alter mag reden, die Fülle der Jahre tue ihre Weisheit kund! –

8 Doch nur der Geist, der im Menschen ist, nur des Allmächtigen Atem macht ihn verständig.

9 Nicht immer sind die Betagten die Weisen, nicht wissen, was recht ist, die Greise allein!

10 Darum sage ich nun: Hört mir zu! Auch ich will mein Wissen zeigen.

11 Denn seht: Eurer Worte habe ich geharrt, eurer Weisheit gelauscht, bis die rechten Worte ihr fändet.

12 Ich bin euch achtsam gefolgt; doch seht: Niemand hat Ijob überführt, sein Wort hat keiner von euch widerlegt!

13 Sagt nicht: Wir trafen auf Weisheit bei ihm, nur Gott kann ihn schlagen, kein Mensch!

14 Wider mich hat er keine Worte gerichtet – ich wäre ihm auch nicht mit euren Reden begegnet! –

15 Sie sind besiegt, einwenden können sie nichts mehr, ausgegangen sind ihnen die Worte!

16 Soll ich da noch warten, wo sie doch nicht mehr reden, wo sie dastehen und nichts mehr erwidern?

17 So will auch ich ihm mein Teil nun entgegnen, auch ich will zeigen mein Wissen!

18 Denn voll bin ich von Gedanken, in meinem Innern drängt mich der Geist.

 

Sein innerer Antrieb zum Reden und seine Unparteilichkeit

19 Seht, mein Inneres gleicht jungem Wein, den man verschlossen hält. – Wie neue Schläuche will es bersten!

20 So muß ich reden, daß mir Erleichterung wird, muß öffnen die Lippen zur Antwort.

21 Für keinen Menschen nehme ich Partei, rede niemandem zu Gefallen.

22 Denn ich weiß nicht zu schmeicheln. – Mein Schöpfer raffte mich sonst wohl rasch hinweg.

 

Kapitel 33: Elihus Ausführungen über die läuternden Leiden

Schiedsrichter zwischen Gott und Ijob

1 Ijob, höre denn meine Rede! All meinen Worten leihe dein Ohr!

2 Siehe, schon tat ich den Mund auf, damit nach Kräften rede meine Zunge!

3 Geradem Sinn entstammen meine Worte, lautere Wahrheit sprechen meine Lippen.

4 Der Geist Gottes hat mich geschaffen, des Allmächtigen Atem hat mich belebt.

5 So du kannst, widerlege mich, mache dich bereit, tritt mir entgegen!

6 Siehe, vor Gott gelte ich soviel wie du, auch ich bin aus Lehm gebildet.

7 Siehe, vor mir braucht nicht Angst dich zu schrecken, ein Druck von mir wird nicht lasten auf dir!

 

Zurückweisung der Klage Ijobs

8 Nun aber sagst du vor meinen Ohren – ganz deutlich habe ich die Worte vernommen:

9 'Rein bin ich und ohne Fehl, ohne Schuld bin ich und lauter.

10 Er sucht nur nach Vorwänden wider mich, seinen Feind erblickt er in mir.

11 Meine Füße hat er in den Block gespannt, überwacht meine sämtlichen Pfade.'

12 Hier bist du im Unrecht! – So gebe ich dir Antwort: Gott ist mehr als ein Mensch!

13 Wie kannst du da wider ihn hadern, daß nicht Rede er steht dem Menschen auf all dessen Worte?

 

Sinn der Läuterungsleiden

14 Auf die eine Weise spricht Gott, auch auf zwei; doch darauf achtet man nicht.

15 Im Traum, im Nachtgesicht, wann tiefer Schlaf auf die Menschen sich senkt, beim Schlummer auf ihrem Lager,

16 da öffnet er den Menschen das Ohr und schreckt sie durch seine Warnung,

17 um den Menschen zu lösen von seinem Tun, den Mann zu behüten vor Hochmut.

18 Vor der Unterwelt bewahrt er so seine Seele, sein Leben vor dem Tod durch das Geschoß.

19 Auf seinem Lager wird er durch Schmerzen gewarnt, ständig wütet ein Kampf in seinen Gliedern.

20 Zum Ekel macht ihm sein Zustand das Brot, seiner Seele die Lieblingsspeise.

21 Sein Fleisch verfällt, man sieht es nicht mehr, es liegen bloß ihm die Knochen, die früher nicht sichtbar.

22 Seine Seele naht sich dem Grab, dem Totenreich sein Leben.

 

Selbsteinkehr als Voraussetzung und Gewähr der Genesung

23 Steht dann ein Gottesbote vor ihm, ein Mittler, aus Tausenden einer, den Menschen zu mahnen an seine Pflicht,

24 dann erbarmt sich Gott seiner und spricht: 'Laß ihn frei! Er braucht nicht ins Grab zu steigen, das Lösegeld habe ich schon erhalten!'

25 Mehr als zur Zeit der Jugend prangt dann sein Leib, zu den Tagen seiner Jünglingskraft kehrt er zurück.

26 Er fleht zu Gott – und der ist ihm gnädig, läßt schauen ihn jubelnd sein Antlitz. – So gibt er dem Menschen sein Recht zurück

27 Er hebt an und singt vor dem Volk: Gesündigt hatte ich, unrecht getan, doch Gott hat es mir nicht vergolten.

28 Vor dem Abstieg ins Grab hat er meine Seele erlöst, mein Leben erfreut sich des Lichtes!

29 Siehe, all das wirkt Gott zweimal, dreimal am Menschen,

30 seine Seele dem Grab zu entreißen, daß ihm das Licht der Lebendigen strahlt.

31 Merke auf, Ijob! Höre mir zu! Schweige, damit ich rede!

32 Doch hast du Beweise, dann bringe sie mir vor! Sprich! Gern recht ich dir gebe.

33 Sonst gib du mir Gehör und schweige! Dann will ich Weisheit dich lehren!"

 

Kapitel 34: Gottes gerechte Allmacht

Ijobs Klagepunkt

1 Elihu hob abermals an:

2 "Ihr Weisen, vernehmt meine Worte, ihr Wissenden, hört mir zu!

3 Denn das Ohr prüft die Worte, wie der Gaumen probt die Speise.

4 Was recht ist, wollen wir prüfen, was gut ist, erkunden für uns.

5 Behauptet hat Ijob: 'Ich bin im Recht, doch Gott hat mein Recht mir entrissen!

6 Ich gelte als Lügner wider mein Recht, schuldlos traf mich ein tödlicher Pfeil.' –

7 Wo ist noch ein Mann wie Ijob, der Lästerung hineintrinkt wie Wasser?!

8 Der sich zu Übeltätern gesellt und umgeht mit gottlosen Leuten?!

9 Behauptet er doch: 'Nichts nützt es dem Menschen, mit Gott in Freundschaft zu leben!'

 

Einheit von Allmacht und Gerechtigkeit bei Gott

10 Darum hört mich, verständige Männer: Fern liegt Gott frevles Tun, ungerechtes Handeln dem Allmächtigen!

11 Er vergilt dem Menschen nur nach seinem Tun, läßt es ihn treffen nach seinem Wandel.

12 Ja wahrlich, nicht unrecht handelt Gott, nicht beugt das Recht der Allmächtige!

13 Wer sorgt mit ihm für die Erde? – Den ganzen Erdkreis, wer hat ihn gegründet?

14 Dächte er nur an sich selbst, seinen Geist, seinen Odem nähme er zurück,

15 alles Fleisch zumal müßte verscheiden, der Mensch kehrte wieder zum Staub!

16 Bist du klug, so merke darauf, lausche dem Laut meiner Worte:

17 Kann wohl Herrscher sein, wer haßt das Recht? Oder willst du den Gerechten, Gewaltigen, zeihen einer Schuld,

18 ihn, der zum Fürsten 'Du Nichtswürdiger!' sagt und 'Du Frevler!' zum Hochgestellten?

 

Gottes Unparteilichkeit

19 Er nimmt nicht Partei für die Großen, zieht nicht die Reichen den Armen vor; sie alle sind doch das Werk seiner Hände.

20 Sie sterben im Nu und inmitten der Nacht: die Reichen schlägt er, sie schwinden dahin, den Starken stürzt er, ohne die Hand nur zu rühren.

21 Auf des Menschen Wandel ruhen seine Augen, er sieht seine sämtlichen Schritte.

22 Nicht Finsternis gibt es, kein Dunkel, worin sich verbärgen die Frevler.

 

Der Zeitpunkt des göttlichen Einschreitens

23 Er setzt keine Frist für den Menschen fest, bei Gott vor Gericht zu erscheinen.

24 Er zerbricht die Starken ohne Verhör, setzt an ihre Stelle andere.

25 Er kennt ja schon ihre Taten, darum stürzt er sie über Nacht: da liegen sie nun zerschmettert.

26 Als Übeltäter züchtigt er sie, an dem Ort, wo alle es sehen,

27 weil sie von ihm gewichen sind, nicht achteten all seiner Wege.

28 Zu sich aufsteigen läßt er des Armen Geschrei, der Bedrückten Notruf vernimmt er.

29 Und hielte er sich still, wer dürfte ihn verdammen? Verbärge er sein Antlitz, wer sähe ihn dann? – Doch über den Völkern wacht er, über jedem Menschen,

30 damit nicht die Gottlosen herrschen, die Fallstricke sind für das Volk.

 

Ijobs Anmaßung

31 Darf wohl zu Gott einer sagen: 'Ich soll es ertragen und tu doch nichts Böses?

32 Zeige du mir, was ich nicht sehe; tat ich Unrecht, so tu ich es nicht wieder!'

33 Soll er nach deinem Sinn vergelten, weil du dich verweigerst? – Willst du entscheiden an seiner Statt? – Sag, was du weißt!

34 Verständige Männer werden mir sagen und jeder Weise, der auf mich hört:

35 'Ohne Verstand redet Ijob daher, seine Worte entbehren der Einsicht!'

36 So prüfe man Ijob denn fort und fort auf seinen gottlosen Einwand!

37 Denn seiner Schuld fügt er noch Empörung hinzu, lästert in unsrer Mitte, nimmt voll den Mund gegen Gott."

 

Kapitel 35: Der große Nutzen der Frömmigkeit

Widerspruch in Ijobs Verhalten

1 Elihu hob abermals an:

2 "Hältst du das denn für recht? Nennst du das: 'Gerecht bin ich vor Gott!',

3 daß du sagst: 'Wozu ist es mir dienlich, was nützt es mir, daß ich nicht sündige?'

4 Ich will nun die Antwort darauf geben, dir und mit dir deinen Freunden.

5 Schau gen Himmel und sieh! Blick auf zu den Wolken, hoch über dir!

 

Nutzen der Frömmigkeit für die Mitmenschen

6 Sündigst du, was tust du ihm damit an? Sind es noch so viel deiner Frevel, wie willst du ihm damit schaden?

7 Bist du gerecht, was kannst du ihm damit geben, was empfängt er dadurch aus deiner Hand?

8 Doch deinem Mitmenschen schadet dein Frevel, deine Tugend kommt deinem Nächsten zugute!

 

Notwendigkeit des Gebetes und der Geduld

9 Man jammert über große Bedrückung und zetert über der Großen Gewalttat,

10 sagt aber nicht: 'Wo ist Gott, unser Schöpfer, der uns Lobgesänge schenkt in der Nacht,

11 der uns weiser gemacht als die Tiere der Erde, klüger als des Himmels Vögel.'

12 Sie schreien – doch er schenkt kein Gehör – ob des Übermutes der Bösen!

13 Fürwahr, Lüge ist es, daß Gott nicht erhört und der Allmächtige nicht herschaut auf solches!

14 Wenn du gar sagst, du gewahrtest ihn nicht: Bei ihm steht das Richten; nur warte auf ihn!

15 Nun aber, wo sein Zorn nicht bestraft und noch nicht beachtet die Sünde,

16 reißt Ijob den Mund auf zu leerem Geschwätz, macht viel Redens – doch ohne Einsicht."

 

Kapitel 36: Gottes über allem waltende Vorsehung

Zweck der Besserungs- und Vorbeugungsleiden

1 Elihu fuhr also fort:

2 "Ein wenig noch warte auf mich: was sich für Gottes Sache sagen läßt, will ich dir künden!

3 Weit ausholen will ich mit meiner Weisheit, meinem Schöpfer Recht zu verschaffen.

4 Denn meine Worte sind wahrlich kein Trug, als Mann mit klarer Erkenntnis stehe ich vor dir.

5 Siehe: Gott ist gewaltig, verdammt aber keinen, gewaltig an Kraft des Verstandes.

6 Des Bösen Leben umhegt er nicht, doch den Bedrückten verschafft er ihr Recht.

7 Von den Gerechten kehrt er sein Auge nicht ab; auf immerdar läßt er sie wie Könige sitzen auf dem Thron, sie hoch zu erheben.

8 Doch liegen sie in Fesseln, von des Elends Stricken gebunden,

9 hält er ihnen ihr Treiben vor, ihre Sünden: daß stolz sie sich erhoben.

10 Dann öffnet er ihr Ohr der Belehrung und ermahnt sie zur Abkehr vom Bösen.

11 Gehorchen sie willig, verbringen sie ihre Tage im Glück, ihre Jahre in Wonne.

12 Doch hören sie nicht, rennen sie ins Geschoß, sie sterben und wissen nicht wie.

13 Die ruchlos Gesinnten verharren im Trotz, sie flehen nicht um Hilfe, wenn er sie bindet.

14 In der Blüte ihrer Jugend stirbt ihre Seele dahin, in der Frische der Jugend ihr Leben.

15 Den Leidenden rettet er so durch sein Leid und öffnet sein Ohr durch die Drangsal.

 

Warnung an Ijob wegen seines Verhaltens im Leiden

16 So lockt er auch dich aus dem Rachen der Not in einen weiten Raum ohne Beengung, an einen Tisch, der vom Fett trieft.

17 Doch du bist voll frevlen Urteils! So überstürzen sich Spruch und Gericht!

18 Denn der Schmerz darf dich nimmer zur Lästerung führen, des Lösegeldes Höhe beirre dich nicht!

19 Kann denn aus der Drangsal dein Schreien dich retten und aller Aufwand an Kraft?

20 Trage nach der Nacht kein Verlangen, weil Freunde an ihrer Statt sich erheben!

21 Sei auf der Hut! Dem Unrecht wende dich nicht zu und ziehe es nicht vor dem Elend!

 

Gottes überragende Macht

22 Siehe: Gott ist erhaben in seiner Macht! Ein Lehrer gleich ihm – wo ist er?

23 Wer schreibt ihm vor seinen Weg, wer dürfte ihm sagen: Du tatest Unrecht?

24 Sei bedacht, sein Walten zu preisen, das die Menschen feiern im Lied!

25 Staunend schaut alle Welt darauf hin, erblickt es der Mensch auch nur von ferne.

26 Siehe: Größer ist Gott, als wir es verstehen, unerforschlich die Zahl seiner Jahre.

 

Gottes Vorsehung in der Natur – Gottes Walten am Himmel

27 Er zieht die Wassertropfen empor, läßt aus dem Nebel rieseln den Regen,

28 der aus den Wolken herniederrauscht, beträufelt die Menge der Menschen.

29 Wer kann gar die Weite der Wolken verstehen, das Donnerkrachen aus seinem Gezelt?

30 Siehe: Sein Licht breitet er um sich her, bedeckt den Urgrund des Meeres.

31 Denn er richtet dadurch die Völker, reicht Nahrung in Fülle.

32 Um beide Hände hüllt er den Blitz und gibt Befehl, wo er zünde.

33 Von ihm kündet der Donner, wenn gegen die Bosheit auflodert sein Zorn.

 

Kapitel 37: Gottes Größe und Macht im Gewitter

1 Ja, darüber erzittert mein Herz, laut pocht es an seiner Stelle. –

2 Horch! Höre, wie sein Donner grollt, wie es dröhnt aus seinem Mund.

3 Unter dem ganzen Himmel läßt er zucken den Blitz, seinen Strahl bis an der Erde Enden.

4 Hinter ihm her brüllt der Donner, laut hallt seine mächtige Stimme; er dämpft sie nicht – man hört seinen Ruf.

5 Gewaltig ist Gott im Gewitter, Großes wirkt er, wir fassen es nicht.

 

Gottes Walten im Winter

6 Da spricht er zum Schnee: 'Falle zur Erde herab!' – so auch zum Regen, zu seinen gewaltigen Wolkenbrüchen.

7 So zwingt er die Hand aller Menschen zur Ruhe, daß alle Menschen sein Walten erfahren.

8 In sein Versteck verkriecht sich das Wild und legt sich nieder in seinen Höhlen.

9 Da bricht der Sturm los aus seinem Gemach, und aus dem Norden kommt Kälte.

10 Durch Gottes Hauch entsteht das Eis, starr liegt des Wassers Fläche.

11 Mit Wasserfülle belädt er die Wolken, breitet weithin aus sein Blitzgewölk;

12 es wandelt ringsumher gemäß seinem Ratschluß, bald hierhin, bald dorthin, damit es alles vollbringe, was er ihm auf Erden gebietet,

13 sei es zur Strafe für seine Erde, sei es zur Gnade, daß er sie schickt.

 

Mahnung an Ijob, sich demütig Gott zu beugen

14 Höre darauf, Ijob! Bleibe stehen, betrachte Gottes herrliche Taten!

15 Weißt du, wie Gott es zu lenken versteht, daß in Wolken aufflammt der Blitzstrahl?

16 Verstehst du das Schweben der Wolken, die Wunderwerke des Allwissenden?

17 Du, dem die Kleider zu heiß, wenn das Land unter dem Südwind brütet,

18 kannst du den Himmel wölben wie er, fest wie gegossenen Spiegel?

19 Laß uns doch wissen, wie wir ihm gebieten! Wir sind ohne Macht vor dem Dunkel.

20 Wird es vertrieben auf mein Geheiß? Befahl es wohl ein Mensch, wenn es verschwindet?!

21 Und nun – man sieht das Sonnenlicht nicht, wenn über den Wolken es leuchtet: Da springt nur ein Wind auf und fegt sie hinweg.

22 Und goldenes Licht erstrahlt vom Norden! Preis gebührt dem furchtbaren Gott,

23 dem Allmächtigen, den wir niemals ergründen. An Macht ist er groß, reich an Gerechtigkeit; nie beugt er das Recht!

24 Darum sollen die Menschen ihn fürchten! – Die Selbstklugen alle beachtet er nicht!"

 

Kapitel 38: Die Reden Gottes

Das göttliche Waltens in der leblosen Natur

1 Da antwortete der Herr dem Ijob aus dem Wettersturm und sprach:

 

Die Weltschöpfung

2 "Wer ist es, der planvolles Walten mit Reden voll Unverstand verdunkelt?

3 Auf! Gürte wie ein Held deine Lenden! Fragen will ich dich, du sollst mich lehren!

4 Wo warst du, als ich die Erde erbaute? Sag es, wenn Einsicht du besitzest!

5 Weißt du, wer ihre Maße bestimmt hat, wer die Meßschnur darüber gespannt,

6 worauf eingesenkt ihre Pfeiler, wer den Schlußstein ihr eingefügt

7 unter Jauchzen der Morgensterne, unter der Gottessöhne Jubel?

8 Wer hat das Meer mit Toren verschlossen, als es brausend brach aus dem Mutterschoß,

9 als zum Kleid ich ihm gab Wolken, zu Windeln finsteres Gewölk,

10 als ich ihm meine Grenze bestimmte, ihm setzte Riegel und Tore

11 und sprach: 'Bis hierher kommst du, nicht weiter! Hier bricht sich der Trotz deiner Wogen!'?

 

Das Licht

12 Hast du je, seit du lebst, dem Morgen geboten, dem Morgenrot seine Stätte gewiesen?

13 Hast du die Säume der Erde gefaßt, um von ihr abzuschütteln die Frevler?

14 Hast du sie wie Ton unterm Siegel geformt, sie gefärbt wie ein Kleid?

15 Hast du den Frevlern entzogen ihr Licht, den Arm gebrochen, der schon erhoben?

 

Die Tiefen und Weiten der Erde

16 Drangst du je vor zu den Quellen des Meeres? Bist du gewandelt am Grunde der Flut?

17 Sprang vor dir auf der Totenwelt Tor, hast du gesehen der Todesnacht Türen?

18 Überschaust du der Erde Weiten? – Sag an, so du all das kennst!

 

Wechsel von Tag und Nacht

19 Wo ist der Weg zur Wohnung des Lichtes, wo hat seine Stätte das Dunkel,

20 damit beide du führtest in ihren Bereich, auf den Pfad zu ihrem Haus sie leitest?

21 Du weißt es?! Du warst ja schon damals geboren – groß ist die Zahl deiner Tage!

 

Die Erscheinungsformen des Wetters

22 Gelangtest du je zu den Speichern des Schnees? Hast je du die Schobern des Hagels geschaut,

23 den ich aufgespart für die Zeit der Drangsal, für den Tag der Schlacht und der Kriege?

24 Wie kommt man dahin, wo das Licht sich verteilt, von wo der Ostwind sich über die Erde verbreitet?

25 Wer riß dem Regen eine Rinne auf, dem Wetterstrahl eine Wegspur,

26 daß es regne aufs Land, das von Menschen leer, auf die Wüste, die niemand bewohnt,

27 zu tränken Öde und Wüstenei, sprießen zu lassen die Wurzeln des Grüns?

28 Hat einen Vater der Regen? Wer zeugte die Tropfen des Taus?

29 Aus wessen Schoß geht das Eis hervor? Wer gebiert des Himmels Reif?

30 Wie erstarrt zum Stein das Wasser, wird fest die Fläche der Flut?

 

Sterne und Jahreszeiten

31 Knüpfst du die Bande des Siebengestirns? Kannst du lösen des Orions Fesseln?

32 Führst du rechtzeitig den Tierkreis herauf und leitest den Bär mitsamt seinen Kindern?

33 Kennst du die Gesetze des Himmels? Bestimmst du, wie er beherrscht die Erde?

34 Kannst du deine Stimme zu den Wolken erheben, daß der Wasser Schwall dich bedecke?

35 Entsendest du Blitze, daß sie fahren dahin und zu dir sprechen: 'Hier sind wir!'?

 

Regen und Trockenheit

36 Wer hat Weisheit ins Innere gelegt, wer hat Einsicht verliehen dem Hahn?

37 Wer zählt in Weisheit die Wolken, läßt ruhen die Schläuche des Himmels,

38 wenn der Erdenstaub sich zu Klumpen ballt und zusammenkleben die Schollen?

 

Gottes Weisheit und Güte in der Tierwelt

Löwe und Rabe

39 Jagst du für die Löwin die Beute, stillst du der Junglöwen Gier,

40 wenn sie in den Höhlen sich ducken, auf der Lauer liegen im Dickicht?

41 Wer schafft dem Raben sein Futter herbei, wenn zu Gott schreien seine Jungen und umherirren ohne Nahrung?

 

Kapitel 39: Steinbock und Hirsch

1 Kennst du die Zeit, wann die Steinziegen werfen, überwachst du der Hirsche Werfen?

2 Zählst du die Monde, wo trächtig sie gehen, kennst du die Zeit, da sie werfen?

3 Sie krümmen sich nieder und werfen die Jungen, sind leicht ihrer Wehen ledig.

4 Ihre Kitzen sind stark und gedeihen im Freien, sie entspringen und kehren nicht wieder.

 

Der Wildesel

5 Wer hat dem Wildesel Freiheit gegeben, wer löste die Bande des Wildlings,

6 dem ich die Wüste zur Heimat gab, die Salzsteppe zur Wohnung?

7 Er lacht des Getriebes des Stadt, hört nicht auf das Schreien des Treibers,

8 die Berge durchspäht er nach Weide für sich, spürt auf alles Grün.

 

Der Wildstier

9 Wird dir willig der Wildstier dienen, an deiner Krippe lagern bei Nacht?

10 Kannst du durch das Seil den Wildstier in die Furchen zwingen, eggt er, dir folgend, den Talgrund?

11 Kannst du ihm trauen, da so gewaltig seine Kraft? Überläßt du ihm deine Arbeit?

12 Glaubst du von ihm, er drischt deine Kornfrucht, er bringt dein Getreide zur Tenne?

 

Der Strauß

13 Der Strauß regt munter die Flügel, als wär es eines Storches Fittich und Feder.

14 Doch seine Eier vertraut er der Erde, läßt auf dem Sand sie erwärmen.

15 Es kümmert ihn nicht, ob ein Fuß sie zertritt, ob sie zerstampfen die Tiere des Feldes.

16 Seine Brut behandelt er hart, als wäre sie nicht sein – ob vergeblich sein Mühen, macht ihm nicht Sorge.

17 Denn Gott hat ihm Klugheit versagt, hat ihm kein Teilchen Einsicht gegeben.

18 Schnellt er aber empor, lacht er über das Roß und den Reiter.

 

Das Pferd

19 Hast du dem Pferd die Kraft gegeben, seinen Hals geschmückt mit der Mähne?

20 Läßt du es springen, der Heuschrecke gleich, sich regen?

21 Wie furchtbar sein prächtig Schnauben! – Es scharrt im Tal. Es freut sich seiner Kraft. Es sprengt dem Kampf entgegen.

22 Es spottet des Schreckens, kennt keine Furcht und macht nicht kehrt vor dem Schwerte.

23 Über ihm klirrt der Köcher, blitzen Lanze und Speer,

24 über den Boden braust es mit dröhnendem Stampfen, es läßt sich nicht halten, wenn das Schlachthorn erklingt.

25 Bei jedem Trompetenstoß wiehert es 'Ij-hi-ih!' – Schon von fern wittert es den Kampf, der Anführer donnernden Ruf, das Kampfgeschrei.

 

Geier und Adler

26 Geschieht es kraft deiner Klugheit, daß der Geier sich aufschwingt, die Schwingen spannt zum Flug nach dem Süden?

27 Ist es kraft deiner Weisung, daß hoch steigt der Adler, seinen Horst in der Höhe zu bauen?

28 Auf Felsen hat er den Nistplatz, seine Warte auf Felsenzacken.

29 Von dort aus lugt er nach Fraß, weit späht sein Blick in die Ferne.

30 Seine Brut giert nach Blut. – Er stellt sich ein, wo die Leichen liegen."

 

Kapitel 40:

1 So redete der Herr zu Ijob. Dann fragte er:

2 "Will nun der Tadler noch mit dem Allmächtigen rechten? – Antwort muß geben, der gegen Gott erhebt Klage!"

 

Ijobs erste Antwort an Gott: Verzicht auf weiteres Rechten

3 Darauf entgegnete Ijob dem Herrn und sprach:

4 "Ach, gar zu gering bin ich, was soll ich erwidern? – die Hand lege ich auf den Mund!

5 Einmal habe ich geredet – ich beginne nicht wieder; und zweimal – doch nicht noch einmal!"

 

Gottes weitere Fragen

Kannst du das Weltregiment übernehmen?

6 Da antwortete der Herr dem Ijob aus dem Wettersturm:

7 "Auf, gürte wie ein Held deine Lenden! Fragen will ich dich, du sollst mich lehren!

8 Willst du gar leugnen mein rechtliches Walten, mich schuldig sprechen, nur daß dir Recht wird?

9 Hast denn du einen Arm wie Gott? Kannst du es donnern lassen wie er?

10 Schmücke dich doch mit Hoheit und Pracht, kleide dich doch in Würde und Glanz,

11 laß deines Zornes Fluten erbrausen, schau den Stolzen an und mache ihn klein!

12 Schau an den Stolzen und zwinge ihn zu Boden, tritt nieder den Frevler, da wo er steht!

13 Verscharre sie alle zusammen in der Erde, schließe ihr Gesicht im Erdinneren ein!

14 Dann will auch ich dich lobpreisen, weil deine Rechte den Sieg dir verlieh.

 

Kannst du ein Tier wie das Nilpferd begreifen?

15 Vergleiche mit dir das Nilpferd, das ich geschaffen; von Pflanzen nährt es sich wie ein Rind.

16 Doch siehe, welche Kraft ist in seinen Lenden, welche Macht in den Muskeln des Leibes!

17 Wie eine Zeder strafft es seinen Schwanz, straff verflochten sind die Sehnen seiner Schenkel,

18 Röhren von Erz sind seine Knochen, einem Gestänge von Eisen gleicht sein Gebein.

19 Ein Meisterwerk ist es des göttlichen Schaffens, der es geschaffen, gab ihm ein Schwert.

20 Wenngleich ihm Futter die Berge bieten, und sich offen dort tummeln die Tiere des Landes,

21 liegt es ruhig unter dem Lotosgebüsch, verborgen im Röhricht des Sumpfes;

22 mit Schatten decken es Lotossträucher zu, Pappelgebüsch steht rings um es her am Wasser.

23 Schwillt auch der Strom: es ängstigt sich nicht; sorglos bleibt es, auch wenn der Strom in den Schlund ihm fließt.

24 Wer kann es bannen mit seinen Augen, ihm mit dem Wurfholz die Nüstern durchbohren?

 

Kannst du ein Tier wie das Krokodil beherrschen?

25 Fängst du den Leviátan mit der Angel, drückst du seine Zunge nieder mit der Schnur?

26 Steckst du ihm Binsen durch die Nüstern, durchbohrst du ihm die Backen mit einem Haken?

27 Wird es dich groß um Gnade bitten, richtet es gute Worte an dich?

28 Schließt es wohl einen Vertrag mit dir, daß du es für immer nimmst in Dienst?

29 Kannst du mit ihm wie mit Vöglein spielen, es anbinden für deine Mädchen?

30 Treiben die Fischer Handel mit ihm, teilen mit ihm die Händler?

31 Kannst du mit Haken ihm spicken die Haut, den Kopf mit Fischharpunen?

32 Leg nur die Hand an, zum Kampf mache dich bereit! – Gewiß tust du es nie wieder!

 

Kapitel 41:

1 Ja, verloren ist jede Aussicht! Schon beim bloßen Anblick stürzt man nieder.

2 Keiner erkühnt sich, es aufzustören. Wer ist es, der ihm standhält?

3 Wer tritt ihm entgegen und bleibt dabei heil? – Unter dem ganzen Himmel nicht einer!

4 Ich darf nicht schweigen von seinen Gliedern, von seiner Kraft, seinem herrlichen Bau.

5 Wer hat je ihm den Panzer gelüftet? Wer drang je ein in sein doppelt Gebiß?

6 Wer tat ihm des Rachens Flügeltor auf? – Seine Zähne verbreiten Entsetzen.

7 Prächtig sind seiner Schilde Rinnen, mit enger Versiegelung zusammengeschlossen.

8 Einer schließt dicht an den anderen sich an, zwischen sie dringt kein Lüftchen;

9 einer fügt sich fest an den anderen, untrennbar haften sie zusammen.

10 Sein Schnauben gibt leuchtendes Licht, wie Wimpern des Morgenrots sind seine Augen.

11 Fackeln fahren aus seinem Rachen, Feuerfunken sprühen heraus.

12 Dampf bricht aus seinen Nüstern hervor, wie aus kochendem Kessel und flammendem Schilf.

13 Sein Fauchen entfacht die Kohlen, eine Flamme schießt ihm zum Rachen heraus.

14 Auf seinem Nacken wohnt Kraft, vor ihm her tanzt das Entsetzen.

15 Straff liegt das Fleisch seines Wanstes, wie angegossen, es schlottert nicht.

16 Hart wie ein Stein ist sein Herz, so hart wie der untere Mühlstein.

17 Fährt es auf, graust es selbst den Helden, ratlos sind sie vor Schreck.

18 Packt es einen, so nützt weder Schwert, noch Speer, noch Wurfspieß, noch Bolzen.

19 Für Stroh achtet es das Eisen, für Holz voller Wurmfraß das Holz.

20 Kein Pfeil kann es zwingen zur Flucht, der Schleuder Steine werden zu Spreu.

21 Als Strohhalm gilt ihm der Wurfspieß, es lacht des Schwirrens der Lanze.

22 Sein Unteres sind spitze Scherben, einen Dreschschlitten breitet es über den Schlamm.

23 Wie einen Topf macht es brodeln die Tiefe, wie einen Salbentopf läßt es erschäumen das Meer.

24 Hinter sich läßt es das Kielwasser leuchten, für Silberhaar hält man die Flut.

25 Nichts gleicht ihm auf Erden – ein Geschöpf ohne Furcht!

26 Verächtlich schaut es herab auf die Stärksten; es ist auch der Stolzesten König."

 

Kapitel 42: Ijobs zweite Antwort an Gott: Ergebung in Gottes Geheimnis

1 Da entgegnete Ijob dem Herrn:

2 "Nun erkenne ich: Du vermagst alles! Kein Ratschluß ist dir verwehrt!

3 'Wer ist es, der durch Unverstand planvolles Walten verdunkelt?' – Ohne Verständnis habe ich so geredet; zu wunderbar war es, als daß ich es begriff!:

4 Höre doch zu! Ich will reden: Dich will ich fragen! Belehre mich du!

5 Vom Hörensagen hatte von dir ich vernommen, nun aber hat dich mein Auge erschaut.

6 Darum leiste ich Widerruf und bereue in Staub und Asche!"

 

Gottes Urteil über Ijob und seine drei Freunde

7 Da nun der Herr also zu Ijob geredet hatte, sprach der Herr zu Elifas von Teman: "Mein Zorn ist entbrannt wider dich und wider deine beiden Freunde; denn ihr habt über mich nicht recht geredet wie mein Diener Ijob.

8 So nehmt nun sieben Stiere und sieben Widder, geht zu meinem Diener Ijob und bringt ein Opfer für euch dar. Mein Diener Ijob aber soll für euch beten. Denn nur im Hinblick auf ihn will ich euch eure Torheit nicht entgelten lassen; denn ihr habt über mich nicht recht geredet wie mein Diener Ijob."

9 Da gingen Elifas von Teman, Bildad von Schuach und Zofar von Naama und taten, wie der Herr ihnen befohlen hatte. Und der Herr ließ Milde walten wegen Ijob.

 

Der Schlußbericht

Ijobs neues Glück

10 Der Herr wandte nun das Schicksal Ijobs, weil er Fürbitte für seine Freunde eingelegt hatte. Zweifach gab er Ijob alles wieder, was er besessen hatte.

11 Da kamen alle seine Brüder und Schwestern zu ihm und all seine früheren Bekannten. Sie hielten in seinem Haus ein Festmahl mit ihm, bezeugten ihm ihre Teilnahme und sprachen ihm Trost zu ob all des Unglücks, das der Herr über ihn hatte hereinbrechen lassen. Auch schenkten sie ihm jeder ein Silberstück und einen goldenen Ring.

12 Der Herr aber segnete Ijob nachher noch mehr denn vordem. Er besaß 14.000 Schafe, 6.000 Kamele, 1.000 Joch Rinder und 1.000 Eselinnen.

13 Er hatte sieben Söhne und drei Töchter.

14 Die eine nannte er Jemima, die zweite Kezia und die dritte Keren-Happuch.

15 Im ganzen Land gab es keine Frauen, die so schön waren wie die Töchter Ijobs. Ihr Vater gab ihnen gleiches Erbteil mit ihren Brüdern.

16 Ijob lebte danach noch 140 Jahre und sah Kinder und Kindeskinder, vier Geschlechter.

17 Und Ijob starb alt und hochbetagt.